Die Moralisten
an die Öffentlichkeit kam. In der »Chicago Tribune« fand ich folgende Notiz:
New York, N. Y.
9. September 1940 (A P)
Jerome H. Cowan, der Sohn des früheren Bürgermeisters von New York, A. H. Cowan, ist vom Gouverneur des Staates New York zum besonderen Staatsanwalt ernannt worden. Es ist Mr. Cowans Aufgabe, Frank Kanes habhaft zu werden, der vom Gouverneur von New York als der Spitzenmann im Wett- und Glücksspielschwindel des Landes bezeichnet wird.
Jerry Cowan, mein alter Freund, sollte mich festnehmen! Doch an dieser Aufgabe mußte er sich die Zähne ausbeißen. Sein erstes Bestreben war, mich zu einem Verhör vorzuladen. Aber ich lebte jenseits des Flusses, außerhalb seines Machtbereichs, in Jersey, und ich machte ihm höflich eine lange Nase.
Nach drei Wochen eingehender Nachforschungen war Jerry noch genauso weit wie am Anfang, und allmählich packte ihn Verzweiflung. Die Zeitungen fielen über ihn her. Sie waren der Meinung, daß man ihm einen Fall übertragen hätte, bei dem alles Beweismaterial fix und fertig vorliege und den er nur noch vor Gericht zu bringen brauche. Aber das war ein Irrtum. Sie hatten nach drei Wochen ebensowenig eine Handhabe gegen mich wie zu Anfang.
Eines Tages läutete in meinem Büro das Telefon.
Ich hörte das Klicken der Umleitung und dann eine Stimme: »Mr. Kanes Büro, bitte.«
»Wer ist am Apparat?« fragte ich. »Jerome Cowan.«
»Kane am Apparat«, sagte ich mit ausdrucksloser Stimme.
»Hier ist Jerry Cowan«, sagte die Stimme.
»Ich weiß«, antwortete ich. Meine Stimme klang, als ob ich jeden Tag mit ihm spräche. Das verwirrte ihn. Er sprach rasch, aus Angst, daß ich den Hörer auflegen könnte, ehe er zu Ende geredet hatte. Es klang beinahe so, als sei er der Angeklagte und nicht der Ankläger. »Jerry Cowan«, wiederholte er. »Erinnerst du dich noch?«
»Ich erinnere mich«, sagte ich ruhig.
»Ich möchte mit dir reden.«
»Das tun Sie bereits«, erklärte ich kühl.
»Du mußt unbedingt aussteigen«, sagte Jerry. »Du weißt, daß die Leute dich hinter Gittern sehen wollen, und du kannst sie nicht ewig an der Nase herumführen. Wir waren einmal gute Freunde. Hör auf mich und gib die Sache auf, solange es noch Zeit ist.«
»Ist das alles, was Sie mir sagen wollten?« fragte ich.
»Frank, um Himmels willen, hör mich an!« sagte Jerry erregt.
»Ich habe Sie angehört.« Meine Stimme wurde jetzt hart. »Mr. Cowan, ich weiß, daß Sie eine Aufgabe zu erfüllen haben. Es ist Ihre Aufgabe. Sie haben sie übernommen, und nun müssen Sie sie durchführen. Aber erwarten Sie nicht, daß ich sie Ihnen abnehme.«
»Aber Frank«, protestierte Jerry, »darum geht es ja gar nicht. Ich möchte dir nur helfen.«
Ich mußte lachen. »Sie können mir helfen, indem Sie sich um Ihre eigenen Angelegenheiten kümmern.«
»Na schön«, sagte Jerry, »wenn du es nicht anders willst.«
»Kann ich sonst noch etwas für Sie tun, Mr. Cowan?« fragte ich.
»Nein«, klang es vom anderen Ende der Leitung plötzlich erschöpft, »nichts. Ich mußte nur gerade an früher denken. Als wir Kinder waren, war alles so einfach, und wir waren Freunde, und du und Marty und ich waren ...«
»Ich weiß«, unterbrach ich ihn sanft. »Ich habe auch daran gedacht...« Ich brach das Gespräch ab und stand da und starrte auf den Hörer in meiner Hand.
Als ich vom Lunch zurückkehrte, wartete Fennelli in meinem Büro. Er sprang auf, als ich den Raum betrat. Ich setzte mich hinter meinen Schreibtisch und studierte den Ein-Uhr-Bericht.
Dann erst sah ich ihn an. Er stand vor meinem Schreibtisch und schien nervös zu sein. Jemand, der ihn weniger gut kannte als ich, hätte es vielleicht nicht gemerkt, aber mir fiel es sofort auf. Scheinbare Nebensächlichkeiten wie die bewußt ruhigen Hände, die leicht zusammengekniffenen Lippen verrieten ihn.
Ich lächelte. »Setz dich, Silk.« Ich zündete mir eine Zigarette an und beobachtete ihn, wie er sich setzte. »Was hast du auf dem Herzen?«
Er sprang wieder auf. »Jetzt setzen die aber wirklich Druck dahinter, Frank.«
Das brauchte er mir nicht zu erzählen! In den letzten sechs Wochen hatte ich nicht mehr gewagt, den Fluß zu überqueren und nach New York zu fahren, und da redete er von zunehmendem Druck! Ich schwieg.
Er legte seinen schwarzen Homburg auf den Tisch. »Es ist mein voller Ernst, Frank. Sie schrecken jetzt vor nichts mehr zurück. Cowan hat neulich eine Unterredung mit dem Gouverneur gehabt und die Erlaubnis bekommen, zuerst
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