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Die Moralisten

Titel: Die Moralisten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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und ersparte mir auf diese Weise alle Dienstbotenprobleme. Das gefiel mir außerordentlich, denn auf diese Weise kamen meine Mitmenschen nicht zu dicht an mich heran. Ich schloß die Tür zu meiner Wohnung auf.
    »Komm rein«, sagte ich.
    Sie sah mich belustigt an, als sie an mir vorbei ins Zimmer trat. Ich folgte ihr und machte die Tür zu.
    Dann schloß ich sie in die Arme und küßte sie. Ich hatte mich nicht geirrt. Dies war wirklich anders.
    Plötzlich schob sie mich fort und sagte ein wenig atemlos: »Ist das der Grund, warum du in meine Wohnung gekommen bist?«
    Ich lächelte in die Dunkelheit hinein. Diese Frage hatte ich mir auch schon gestellt. Ich tastete nach der Wand und drehte das Licht an. Dann warf ich meinen Mantel über einen Stuhl, ging ans Telefon und nahm den Hörer ab. »Zimmerdienst, bitte.«
    Während ich auf die Verbindung wartete, sah ich Ruth an. Sie hatte ihren Mantel eng um sich gezogen, als habe sie Angst, ihn abzulegen. »Nein, Liebling«, sagte ich in leichtem Ton, »ich war hungrig und brauchte Gesellschaft, um beim Essen über alte Zeiten zu reden.«
    Diese Antwort machte sie wütend. Sie brauste noch genauso leicht auf wie früher. Ihre Unterlippe bebte, als wollte sie im nächsten Augenblick in Tränen ausbrechen.
    »Du bist immer noch derselbe«, stieß sie bitter hervor. »Nie um eine Antwort verlegen.« Sie ging auf die Tür zu.
    Eine Stimme im Apparat meldete sich: »Zimmerdienst.«
    »Ich rufe gleich wieder an«, sagte ich hastig, legte den Hörer auf und stürzte Ruth nach. An der Tür holte ich sie ein und packte sie bei den Schultern. »Wenn ich nicht ein solches Verlangen gehabt hätte, dich zu sehen, wäre ich wohl nicht zu dir nach New York gefahren.«
    Sie ließ sich von mir ins Zimmer zurückführen. Ich sah, daß ihre Augen voll Tränen standen. »Warum sagst du dann nicht, was du fühlst?« fragte sie kleinlaut. »Oder bist du so daran gewöhnt, deine Gefühle zu verbergen, daß du sie schon gar nicht mehr ausdrücken kannst?«
    Ich küßte ihre Augenwinkel. Vielleicht hatte sie nicht so unrecht. Plötzlich schlang sie die Arme um meinen Hals und küßte mich. »Ich liebe dich - du selbstsüchtige, dumme Bestie!« flüsterte sie, ihre Lippen dicht an meinem Mund. »Ich habe dich mein ganzes Leben lang geliebt. Für mich hat kein anderer Mann existiert.«
    Ich preßte sie fest an mich. Der plötzliche, süße Schmerz, den ihre Worte in mir auslösten, sagte mir, daß sie die Wahrheit sprach. Aber es war mir nichts Neues. Ich hatte es gewußt, seit ich sie im Krankenhaus sah. Ich küßte sie wieder.
    Das Telefon läutete, und sie sah mich erschrocken an. Ich lächelte ihr beruhigend zu und ging an den Apparat.
    »Hier ist der Zimmerdienst, Mr. Kane. Hatten Sie angerufen?«
    »Ja, schicken Sie mir doch bitte kaltes Huhn für zwei und eine Flasche Piper Heidsick '29 herauf.« Ich legte den Hörer auf und kehrte zu ihr zurück. »Willst du jetzt nicht endlich deinen Mantel ablegen?«
    Sie zog ihn aus und gab ihn mir. Ihre Augen strahlten. Ihre Haut hatte von der kalten Novemberluft eine rosige Färbung. Sie trug ein einfach geschnittenes schwarzes Kleid. Ich konnte mich nicht satt sehen an ihr. »Was starrst du mich denn so an?« fragte sie.
    »Du bist so schön.« Und bei Gott! Sie war schön.
    »Der Hunger spricht aus dem Mann«, sagte sie.
    »Zweierlei Hunger!« erwiderte ich. Wir lächelten uns an und fühlten uns plötzlich eng verbunden. Instinktiv streckte sie ihre Hand nach mir aus, und ich nahm sie.
    Ich legte ihren Mantel auf einen Stuhl neben den meinen, und dann setzten wir uns auf die Couch, die mitten im Zimmer stand. Wir hielten uns bei den Händen, und ihr Kopf ruhte an meiner Schulter. Eine ganze Weile waren wir still. Ich schloß die Augen. Zum erstenmal seit Jahren spürte ich eine tiefe Zufriedenheit. Es war, als sei ich wieder ein Kind und säße mit meiner Tante und meinem Onkel zu Hause im Wohnzimmer. Auch dort wurde oft kein Ton geredet, und doch war jeder glücklich und empfand das Glück des anderen mit. So war es auch mit Ruth und mir.
    Ich vergrub mein Gesicht in ihrem Haar. Sie wandte mir ihr Gesicht zu, und wir blickten uns tief in die Augen. In ihren Augen lag eine Frage - liebst du mich? Sie brauchte sie nicht auszusprechen. Ich konnte sie lesen. Offenbar war sie mit der Antwort zufrieden, die sie in meinen Augen las, denn sie küßte mich.
    Dann legte sie ihren Kopf wieder an meine Schulter und sagte leise, fast flüsternd: »Ich bin nicht

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