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Die Moralisten

Titel: Die Moralisten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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sehen?« fragte die Schwester Oberin sanft.
    »Ja, Ma'am«, antwortete ich mechanisch. Die Gedanken wirbelten durch meinen Schädel. Ich hatte eine Familie. Ich war kein Bastard. Ich hatte eine richtige Familie.
    Mr. Buchalter öffnete die Tür. »Wollen Sie bitte hereinkommen, Mr. Kane?«
    Ein Mann erschien im Türrahmen. Er war groß, etwa 1.82, und fast kahlköpfig, mit breiten Schultern und roten Backen. Er hatte sanfte Augen, die ein wenig verschleiert schienen. Ich erinnerte mich vage, daß ich irgendwo gehört hatte, alle Nichtkatholiken kämen in die Hölle. Aber das war mir jetzt gleichgültig. Es machte mir nichts aus, in die Hölle zu fahren, wenn mich nur jemand so ansah wie er - mit soviel Liebe und Freundlichkeit und mit ein paar Sorgenfalten um die Augen, als wenn er Angst hätte, daß ich ihn nicht gern haben könnte. Er lächelte, und der ganze Raum wurde auf einmal hell. Dann streckte er mir seine Hand entgegen. Ich nahm sie. Sie war warm und freundlich und voll geheimen Verstehens, das wie ein elektrischer Strom zwischen uns zu fließen schien.
    »Du bist also Frankie!« sagte er. Seine Stimme war tief, voll und warm und zitterte jetzt ein wenig.
    »Ja, Sir«, sagte ich, und auch meine Stimme zitterte. In meinen Augen standen Tränen. In meinem Herzen spürte ich Liebe. Denn ich wußte mit tödlicher Sicherheit, daß ich mit diesem Mann verwandt war. Ich war von seinem Blut, gehörte zu seiner Familie. Das wußte ich. Das fühlte ich.
    Und erst eine Weile später erfuhr ich, daß er seinen Namen
    >Cain< schrieb.
    Und noch ein paar Tage später wußte ich, daß ich Jude war.
    Ich war kaum wieder ein paar Stunden im Schlafsaal, da war es schon allgemein bekannt, daß ich adoptiert sei. Die Jungen überschütteten mich mit Fragen, und ich antwortete, so gut ich konnte. Ich konnte kaum erwarten, daß der Nachmittag vorüber war, um Julie die Neuigkeit mitzuteilen.
    Ich rief sie zuerst an, um zu erfahren, ob die Luft rein sei, und ging dann zu ihr hinauf.
    Sie öffnete die Küchentür und ließ mich herein. Sie schien etwas abgespannt, aber ich beachtete das nicht weiter und begann sofort, ihr von den Ereignissen des Tages zu berichten. Sie saß in ihrem Sessel und ich auf der Bettkante.
    Als ich fertig war, sagte sie: »Ich bin sehr glücklich, daß alles so gekommen ist. Du hast das verdient.« Aber sie sprach ohne Begeisterung. Ihre Stimme hatte einen müden, flachen Klang.
    »Du scheinst dich nicht sehr darüber zu freuen«, sagte ich.
    Sie stand auf und trat ans Fenster. Sie wandte mir den Rücken zu. Eine Weile stand sie schweigend da. Als sie endlich sprach, klang ihre Stimme spröde und hart, wie ich sie nie zuvor gehört hatte. »Ich gehe nach Hause, Frankie.«
    »Warum?« fragte ich. Noch ehe sie antworten konnte, fügte ich hinzu: »Das brauchst du nicht. Was kommen mag, ich bin immer noch hier und werde dich immer besuchen.«
    Sie drehte sich um und sah mich an. »Für ein kostenloses Schäferstündchen?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Nein, weil ich dich gern habe. Das solltest du eigentlich wissen. Du hast es oft genug von mir hören wollen.«
    »Du hast nicht mehr für mich übrig«, sagte sie kühl, »als für jedes andere Mädchen, das dich mit ins Bett nimmt.« Sie
    schaute wieder zum Fenster hinaus. »Wir werden uns nicht mehr wiedersehen.«
    Ich starrte eine Weile auf ihren Rücken, ehe ich sprach. »Ich möchte immer noch wissen, weshalb, Julie.«
    Wieder drehte sie sich nach mir um. »Wenn du es absolut wissen willst, werde ich es dir sagen. Es kommt für mich nichts dabei heraus, wenn ich mich mit kleinen Jungen einlasse. Du kannst nichts für mich tun. Du könntest mich nicht heiraten, wenn du mir ein Kind verpassen solltest. Was habe ich also davon? Außer daß ich dir auf diesem Gebiet noch ein bißchen beibringen kann.
    Nein, Frankie, der Sommerunterricht ist vorbei. Also sei ein guter Junge und hau ab! Du hast dich bei mir ausgetobt - jetzt verschwinde!«
    Ich ging zu ihr und wollte sie in den Arm nehmen. Aber sie riß sich los.
    »Aber Julie -«
    »Verschwinde, Frankie!«
    Ich hatte auf einmal einen merkwürdigen Kloß im Hals. Ich ging zur Tür. »Leb wohl, Julie.«
    Sie sagte nichts. Ich öffnete die Tür und ging hinaus.
    Draußen nahm ich eine Zigarette aus der Tasche und zündete sie an. Ich vernahm das schwache Knarren ihres Bettes, und dann hörte ich sie weinen.
    Ich wanderte in den Park und warf mich ins Gras. Mit leerem Blick starrte ich in den Himmel. Alle meine

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