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Die Moralisten

Titel: Die Moralisten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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dem Fenster zu nehmen.«
    »Schade. Entschuldigen Sie bitte die Störung.« Ich wandte mich zum Gehen. Als ich ein paar Stufen hinabgestiegen war, rief sie mir nach:
    »Junger Mann, kommen Sie zurück, junger Mann!«
    Ich stieg die Stufen wieder hinauf. »Sie wünschen, Ma'am?«
    »Hören Sie endlich auf, mich Ma'am zu nennen. Ich mag es nicht.«
    »Verzeihung«, sagte ich.
    Sie sah mich forschend an. »Sie sind fremd in dieser Stadt, nicht wahr?« sagte sie.
    Ich war verärgert. Wenn sie mir das schon an der Nasenspitze ansehen konnte, was hatte ich denn da für eine Chance, unbemerkt zu bleiben? »Ja«, sagte ich. »Und was geht Sie das an?«
    »Nichts. Woher kommen Sie? Aus New York?«
    »Das geht Sie 'nen Dreck an!« fch wurde immer wütender. »Ich habe Sie nach einem Zimmer gefragt. Aber ich wußte nicht, daß ich quasi in eine Polizeiwache geraten bin. Schluß damit!« Ich wandte mich um.
    »Einen Augenblick!« rief sie. »Nichts für ungut. Ich möchte Ihnen helfen. Vielleicht habe ich ein Zimmer für Sie, kommen Sie mal herein.«
    Ich folgte ihr in den Flur. Zur Rechten befand sich eine doppelte Schiebetür, die sie auseinanderschob. Wir betraten einen großen Raum, der mit Sofas und Sesseln vollgestellt war. In einer Ecke war ein großer Flügel, auf dem Deckel standen mehrere leere Whiskyflaschen. Zigarren- und Zigarettenstummel lagen überall in den Aschenbechern und am Boden vor einem riesigen, altmodischen Kamin hinten an der Wand. Ein schaler Geruch von Tabak und Whisky hing in der Luft, und auch etwas von dem Geruch, den der Wind herübertrug, wenn er vom Krankenhaus zum Waisenhaus herüberwehte.
    »Mein Gott, stinkt das hier!« rief sie schnüffelnd und riß ein Fenster auf. Ich bemerkte, daß hohe Paravents vor den Fenstern standen, die nach der Straße gingen. Etwas frische Luft strömte herein.
    »Nehmen Sie Platz, nehmen Sie Platz«, sagte sie und deutete mit der Hand auf eine Couch. Sie ging an einen kleinen Schrank und holte eine Flasche Gin hervor. Dann goß sie sich etwas in eins der umherstehenden Gläser und kippte es hinunter. Sie schluckte das scharfe Getränk, ohne mit der Wimper zu zucken, und atmete dann in vollen Zügen die frische Luft ein. »Ah«, sagte sie, »jetzt geht's mir besser.« Es war ein merkwürdiger Anblick, wie sie da in einer Art Kimono mitten im Zimmer stand, die grauen Haare auf Bändern in straffe kleine Locken gewickelt, und die Backen durch den Alkohol gerötet. Ich sagte keinen Ton. Mir kam das alles höchst lächerlich und verschroben vor.
    Sie setzte sich auf eine Couch und betrachtete mich. Eine Zeitlang saßen wir schweigend da. Unter ihrem forschenden Blick wurde ich allmählich unruhig. Schließlich fing sie an zu sprechen.
    »Wie alt sind Sie?« Ihre Stimme klang jetzt ruhiger, beherrschter.
    Ich zögerte einen Moment, und sie merkte es. »Neunzehn«, log ich.
    »Hmm!« meinte sie. »Warum sind Sie aus New York weggegangen?«
    »Das geht Sie gar nichts an! Ich habe Ihnen schon einmal gesagt, ich möchte nur wissen, ob Sie mir ein Zimmer vermieten wollen oder nicht.« Ich erhob mich langsam von der Couch.
    »Einen Moment. Einen Moment«, sagte sie und bedeutete mir, wieder Platz zu nehmen. »Nicht gleich beleidigt sein!«
    »Na, schön«, sagte ich und fragte mich, was die Alte eigentlich von mir wollte. Dieser Laden sah mir ganz nach einem Bordell aus. Er stank gen Himmel. Um keinen Preis der Welt hätte ich hier wohnen mögen.
    »Haben Sie ein Mädchen angebumst?« fragte sie und zwinkerte mir dabei listig zu.
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Oder Ärger mit der Polente?« Wieder dieser verschlagene Blick.
    >Das wäre durchaus mögliche, dachte ich. >Sobald Bruder Bernhard mein Verschwinden meldete, war es soweit.< Ich zuckte gelassen die Schultern und schwieg.
    »Aha«, sagte sie und lächelte jetzt. Es gefiel ihr, daß sie es erraten hatte. Das konnte ich deutlich sehen. »Das habe ich mir schon gedacht. Was wollen Sie hier in Baltimore anfangen?«
    »Mir Arbeit suchen«, sagte ich, »und ein Zimmer, wenn ich, zum Teufel noch mal, endlich hier rauskomme.«
    Sie lachte aus vollem Hals. »Wieder einen ordentlichen Lebenswandel beginnen, wie?« Sie kicherte, hielt aber plötzlich inne und blickte mich grimmig an. »Erzählen Sie mir nicht solche Märchen! Wissen Sie auch, wie weit Sie damit kommen würden? Einen Knülch wie Sie würde man sofort aufgabeln. Und dann ab nach New York und ins Kittchen! So rasch, daß Ihnen Hören und Sehen vergeht.«
    Ich

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