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Die Moralisten

Titel: Die Moralisten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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während das Mädchen mir nachdenklich nachsah.
    Neben dem Telegrammtisch führte eine Treppe zur Telefonhalle. Dort war es nicht so voll wie unten in der Halle. Deshalb ging ich hinauf. Ich wollte nicht ganz allein sein, aber auch nicht unter so vielen Menschen. Ich setzte mich auf einen Stuhl neben einer der Telefonzellen. Etwa eine halbe Stunde hatte ich dort gesessen, als das Mädchen vom Telegrammtisch heraufkam und in die Telefonzelle neben mir ging. Die Tür schloß sich. Ich hörte aber weder das Fallen einer Münze noch Sprechen. Ein paar Minuten später kam sie wieder heraus. Sie blieb in der Tür stehen und tat sehr überrascht, als sie mich da sitzen sah. Sie lächelte mir zu, und ich nickte höflich; mir war nicht nach Lächeln zumute.
    Sie nahm eine Zigarette aus ihrer Handtasche. »Können Sie mir vielleicht Feuer geben, Mr. Kane?« fragte sie lächelnd.
    Das war ziemlich durchsichtig. Aber mir war's egal. Ich holte ein Streichholz aus der Tasche, riß es an und hielt es an ihre Zigarette. »Danke«, sagte sie und setzte sich neben mich.
    »Gern geschehen«, sagte ich.
    »Neuer Anzug?« fragte sie.
    »Wie bitte?« Im ersten Augenblick wußte ich nicht, was sie meinte. Dann nickte ich. »Hab' ihn heute erst bekommen.«
    »Wie fühlen Sie sich denn nun, wo Sie nicht mehr bei der Marine sind?«
    »Es ist ganz erfreulich.«
    »Sie wissen wahrscheinlich nicht recht, was Sie anfangen sollen.«
    »Genau«, sagte ich. »Ich muß mich an diesen Zustand erst gewöhnen.«
    »Zu schade, das mit dem Telegramm«, sagte sie teilnahmsvoll.
    »Damit hätte ich rechnen sollen.« Ich fühlte mich allmählich etwas besser. Sie war der erste Mensch in diesem verfluchten Nest, der sich für mich zu interessieren schien. Ich betrachtete sie eingehender. Sie sah gut aus: schwarzes Haar, blaue Augen, eine hübsche, schlanke Figur. Ich lächelte ihr zu. »Ich möchte Sie nicht mit meinem Kummer belasten«, sagte ich. »Es ist nett von Ihnen, daß Sie überhaupt Interesse zeigen.«
    »Oh, das ist doch ganz klar. Ich habe einen nahen Verwandten bei der Marine, und ich habe mich oft gefragt, was er machen will, wenn er entlassen ist.«
    »Es ist alles nicht so schlimm«, sagte ich, »wenn man sich nur zu irgend etwas entschließen könnte.«
    »Was wollen Sie unternehmen?« fragte sie.
    Bei dieser Frage zündete ich mir erst mal eine Zigarette an. Was wollte ich anfangen? Ich wußte es nicht - ich hatte noch nicht darüber nachgedacht. »Offen gestanden, ich weiß es nicht«, sagte ich. »Werde mir einen Job suchen müssen.« »Haben Sie bestimmte Vorstellungen?«
    »Nein, das, was mir über'n Weg läuft.«
    »Im Augenblick ist es nicht leicht, etwas zu finden«, meinte sie.
    »Das weiß ich nicht«, sagte ich zuversichtlich. »Ich habe nie Schwierigkeiten dabei gehabt.«
    Eine Weile saßen wir schweigend. Dann sprang sie auf. »Ich muß jetzt gehen«, sagte sie. »Es ist schon ziemlich spät, und ich muß zum Abendessen zu Hause sein.«
    Ich sah sie an. »Können Sie nicht telefonieren und sagen, Sie gingen heute abend aus? Ich meine, würden Sie mit mir ausgehen? Ich möchte nicht aufdringlich sein, aber vielleicht könnten Sie mir die Stadt zeigen. Ich bin völlig fremd hier.«
    Sie lächelte. »Sehr freundlich, Mr. Kane, daß Sie mich einladen. Aber ich muß wirklich nach Hause.«
    Natürlich mußte sie nicht. Sie war ebenso unabhängig wie ich. Aber ich ging darauf ein. »Ach, kommen Sie doch bitte mit«, bat ich. »Ich wäre Ihnen sehr verbunden. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie einsam man sich in einer fremden Stadt fühlen kann.«
    Sie tat, als überlege sie einen Augenblick. »Na, schön«, sagte sie, »ich komme mit, Mr. Kane. Aber erst muß ich zu Hause anrufen, Mr. Kane.«
    Ich verstand den Wink mit dem Zaunpfahl. »Sie können mich Frank nennen.«
    »Also gut, Frank.« Sie lächelte. »Ich heiße Helen.«
    Helen ging in die Telefonzelle. Ich blieb sitzen und wartete. Auch dieses Mal telefonierte sie nicht. Ich mußte innerlich lachen.
    Wir gingen in irgendeinen Nachtklub, wo es ein recht gutes Programm gab. Wir aßen zu Abend und nahmen dazu ein paar Drinks. Sonst trank ich nicht sehr viel, aber jetzt war mir alles egal. Ich kam in Stimmung. Wir tanzten und tranken und tranken und tanzten, und sehr bald ging es auf zwei Uhr zu. Wir verließen das Lokal, und ich winkte ein Taxi herbei.
    »Ich bringe dich nach Hause«, sagte ich.
    »So kann ich nicht nach Hause gehen«, sagte sie kichernd. »Mein Vater würde

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