Die Moralisten
Ich wohne bei ihr.«
»Gut«, sagte er. »Dann können wir ihr die Zustimmungserklärung zusenden.«
Daran hatte ich nicht gedacht, aber ich zweifelte nicht daran, daß ich die Papiere abfangen und unterzeichnen konnte. Ich war in dem Haus immer der erste, der auf den Beinen war.
»Wenn Ihre Großmutter die Papiere unterzeichnet hat«, sagte der Leutnant, »bringen Sie sie hierher ins Büro. Außerdem Kleidung für drei Tage. Sie werden sich einer ärztlichen Untersuchung unterziehen müssen, und wenn Sie die bestanden haben, werden Sie sofort vereidigt und in ein Rekrutenlager geschickt.«
»Besten Dank«, sagte ich.
Lächelnd streckte er mir die Hand hin. »Alles Gute.«
Ich schüttelte ihm die Hand und ging erhobenen Hauptes zum Haus zurück.
Montag morgen kam der Brief. Ich sah ihn auf dem Flurtisch, auf den Mary ihn mit anderen Briefen gelegt hatte. »U. S. Marine, Dienstsache« stand in der linken oberen Ecke des Umschlags. Ich nahm ihn mit auf mein Zimmer und öffnete ihn. Der Werbeoffizier hatte die Stelle für die Unterschrift mit einem »X« gekennzeichnet. Ich unterzeichnete den Bogen mit verstellter Handschrift und steckte ihn in die Tasche meines alten blauen Anzugs.
Meine letzte Nacht im Haus verlief ohne besondere Zwischenfälle. Als wir fertig waren und abgeschlossen hatten, ging ich wie immer in die Küche, um mit Mrs. Mander abzurechnen. Als wir das erledigt hatten, lehnte ich mich zurück und sah Mrs. Mander an.
Wie üblich hatte sie sich einen Drink eingeschenkt. Als sie sah, daß ich sitzen blieb, anstatt wie sonst nach oben ins Bett zu gehen, warf sie mir einen erstaunten Blick zu.
»Was hast du auf dem Herzen, Frank?« fragte sie.
»Ich zieh weiter«, sagte ich, »und zwar morgen.«
»Was willst du tun?«
Ich schwieg.
»Na schön, es geht mich also nichts an!« sagte sie schroff und goß sich ihr Glas wieder voll. »Und wie steht's mit den Anzügen, die ich dir gekauft habe?«
»Die kannst du behalten«, sagte ich. »Ich habe genug.«
»Was du hast, ist mir völlig schnuppe. Aber ich habe gutes Geld dafür auf den Tisch gelegt.«
»Na, und?« sagte ich.
Einen Augenblick schwieg sie. Dann sagte sie: »Ich gebe dir zehn Dollars mehr.«
»Nichts zu machen. Die Tätigkeit gefällt mir nicht.«
»Hör mal zu. Bleib doch. Dann kannst du wirklich Geld machen. Vielleicht beteilige ich dich nach einer Weile am Geschäft. Ich mag dich leiden, wir werden schon miteinander zurechtkommen.«
»Nein, ich gehe.« Ich stand auf.
Sie blickte zu mir auf. »Ich habe keine Verwandten, und ich habe mir ein ganz nettes Sümmchen auf die hohe Kante gelegt. Ich werde zu alt für diese Arbeit, und ich brauche jemanden, auf den ich mich verlassen kann. Du bist ehrlich zu mir. Bleib hier -eines Tages bist du reich.«
Die Alte tat mir leid; sie hatte auch kein leichtes Leben.
»Tut mir leid«, sagte ich, »aber ich kann nicht bleiben.«
Sie brauste auf. »Dann scher dich zum Teufel!« rief sie mit zitternder Stimme.
Ich drehte mich um und ging schweigend zur Tür hinaus.
Sie rief mich zurück. »Frank!«
»Ja«, sagte ich und kam wieder in die Küche.
»Brauchst du Geld?« Ihre Stimme klang jetzt weicher.
Ich schüttelte den Kopf.
Sie nahm einige Geldscheine aus einem Bündel von Scheinen und hielt sie mir hin. »Hier, nimm. Ich hab' mehr, als ich brauche.«
Ich nahm das Geld und steckte es in die Tasche. »Vielen Dank.«
»Komm mal her«, sagte sie.
Sie nahm meine Hand. »Du bist ein feiner Kerl, Frank. Es steckt etwas Wildes und Hartes in dir, das gezähmt werden muß, aber auch Schönes und Strahlendes. Was du auch tun magst, verliere nie dieses gewisse Etwas, was dich davor bewahrt, hart und gemein zu werden.« Sie lachte. »Ich werde doch wohl alt«, sagte sie, »daß ich so rede.« Sie schenkte sich noch ein Glas ein.
Ich schwieg. Die Alte schien mich tatsächlich gern zu haben.
»Nun?« fragte sie.
»Leb wohl«, sagte ich. Impulsiv beugte ich mich zu ihr hinab und küßte sie auf die Wange. Sie fühlte sich kalt und trocken an wie ein Stück altes Papier.
Staunend berührte Mrs. Mander die Stelle mit der Hand. »Es ist schon lange her, seit -« Ihre Worte verloren sich.
Ich schloß die Tür hinter mir und ging auf mein Zimmer.
Am nächsten Morgen wurde ich bei der Marine der Vereinigten Staaten vereidigt.
VIERTER TEIL
Ich stand auf den Stufen des Verwaltungsgebäudes und blickte über die Marinestation. Es war der 30. Dezember 1931, und die Brise, die über die Bucht von San
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