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Die Moralisten

Titel: Die Moralisten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Nachmittag. Ich brauchte Sie eigentlich nicht, aber ich wollte... «
    »Ich weiß«, unterbrach ich ihn lächelnd. »Vielen Dank jedenfalls.«
    Es wurde dunkel. Ich mußte mir eine Unterkunft suchen, wenn ich nicht die ganze Nacht auf der Straße zubringen wollte. So ging ich in ein Mills-Hotel und nahm mir ein kleines Einzelzimmer für fünfzig Cents. Im Bett überlegte ich, was ich tun konnte, um meine Verwandten zu finden. Ich wollte nicht, daß sie mich in dieser armseligen, schäbigen Verfassung sehen sollten. Ich hatte sowieso schon Angst, daß ich auf einen Bekannten stoßen könnte, dem ich meine Lage erklären müßte.
    Am nächsten Morgen war ich schon um halb acht bei den Arbeitsvermittlungsstellen, aber es schien sich nichts zu bieten. Ich wurde zu verschiedenen Stellen geschickt, aber wenn ich hinkam, waren die Stellen entweder besetzt, oder der Boss wollte nicht gerade jemanden wie mich.
    Am nächsten Tag versuchte ich mein Heil im Bezirk des Großmarkts. Ich hatte Glück. Im Lagerhaus einer kleinen
    Lebensmittelfiliale wurde ich zum Leiter geschickt.
    »Was wollen Sie?« fragte er unfreundlich.
    »Beschäftigung«, sagte ich.
    »Ich habe keine«, erklärte er. In diesem Augenblick klingelte das Telefon auf seinem Schreibtisch. Er nahm den Hörer ab und bellte hinein. »Rayzeus am Apparat.« Eine aufgeregte Stimme ertönte aus dem Hörer. Ich stand dabei und wartete.
    Ich kann nicht sagen, woher ich wußte, daß es sich hier um eine Arbeit handelte, aber ich wußte es. Plötzlich brach mir der Schweiß an den Handflächen aus, und mein Herz begann aufgeregt zu hämmern. Ich wußte nur, hier gab es Arbeit, und ich mußte sie haben.
    Der Leiter legte den Hörer auf und sah mich an. »Worauf warten Sie noch?« fragte er barsch.
    »Auf Arbeit«, wiederholte ich.
    »Ich habe Ihnen doch gesagt, daß ich keine habe.«
    »Sie haben gerade deswegen telefoniert.«
    Er blickte mich forschend an.
    »Haben Sie überhaupt Erfahrung in dieser Branche?« fragte
    er.
    »Etwas schon«, sagte ich. »Ich habe in einem großen Selbstbedienungsgeschäft in San Diego gearbeitet.« Daß das nur für zwei Tage gewesen war, erwähnte ich nicht.
    »Wie alt sind Sie?«
    »Zwanzig.«
    »Dann ist es nichts für Sie.« Er wandte sich wieder seinen Papieren zu. »Es handelt sich um eine Arbeit als Botenjunge -acht Dollar die Woche.«
    »Ich nehme sie.«
    Er sah mich wieder an. »Sie kriegen nur acht Dollar die Woche«, wiederholte er.
    Ich steckte die Hände in die Taschen, damit er nicht sah, wie sie zitterten. »Ich nehme die Arbeit an«, sagte ich noch einmal.
    »Sie würden sich nicht mit acht Dollar in der Woche begnügen«, sagte er. »Sie sind kein Kind mehr. Sie brauchen mehr zum Leben.«
    Ich hatte immer noch die Hände in den Taschen. »Hören Sie, Mister«, sagte ich. Vor Nervosität kippte meine Stimme ein wenig. »Ich brauche dringend Arbeit. Ich bin völlig pleite. Vor etwa sechs Wochen habe ich Schnee geschaufelt, und das war meine letzte Arbeit. Acht Dollar die Woche ist ein kleines Vermögen für mich.«
    Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und wandte sich ein wenig von mir ab. »Leben Sie bei Ihren Angehörigen?«
    »Nein, ich habe keine Familie. Augenblicklich wohne ich im Mills-Hotel.«
    »Warum wollen Sie für acht Dollar die Woche arbeiten? Ein großer, starker junger Mann wie Sie müßte doch einen besser bezahlten Posten bekommen können.«
    »Ich habe alles versucht, Mister«, sagte ich verzweifelt. »Das können Sie mir glauben. Aber es ist nichts zu machen. Man muß doch dringend etwas zum Leben haben.«
    Er schwieg eine Weile. Ich wurde nervös. Dieses Katze-und-Maus-Spiel machte mich ganz verrückt. Plötzlich wandte er sich wieder zu mir. »O. k.«, sagte er mürrisch, »Sie können den Posten haben.«
    Mir wurde schwach. Ich sank auf einen Stuhl neben dem Schreibtisch und zog eine Zigarette aus der Tasche. Ich steckte sie in den Mund und versuchte sie anzuzünden, aber meine Hände zitterten so, daß ich das Streichholz nicht anreißen konnte. Er bot mir Feuer an, und ich tat einen tiefen Zug. »Danke, Mister, vielen Dank.«
    Plötzlich wurde mir schwindelig. Ich dachte, ich müßte mich
    übergeben. Mein Magen machte einen Kopfstand, und bittere Galle kam mir in den Mund. Ich schluckte verzweifelt. Nicht jetzt, lieber Gott, bloß jetzt nicht. Ich vergrub mein Gesicht in den Händen. Der Leiter kam hinter dem Schreibtisch hervor. Er legte mir die Hand auf die Schulter. »Muß Ihnen ja ziemlich

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