Die Moralisten
dreckig gegangen sein, Junge«, sagte er. Sein Ton war nicht mehr so aggressiv.
Ich nickte, während ich mir immer noch den Kopf hielt. Aber ich fühlte mich besser. Die plötzliche Übelkeit war verschwunden.
»Geht es besser?« fragte er.
»Ja, Sir. Alles wieder in Ordnung. Es war die... na, Sie wissen ja, was ich meine.« Er nickte, und ich fuhr fort: »Wann soll ich anfangen und wo?«
Er schrieb mir die Adresse auf einen Zettel.
»Sie können gleich anfangen, wenn Sie wollen.«
»Aber gern Sir, wenn es Ihnen recht ist.«
Er zog sich einen Bogen Papier heran. »Wie ist Ihr Name?«
»Frank Kane, Sir.«
Er schrieb ein paar Worte auf den Bogen und gab ihn mir.
»Hiermit sind Sie in Amt und Würden«, sagte er lächelnd. »Geben Sie das dem Manager des Ladens, und wenn er irgendwelche Fragen hat, soll er Rayzeus im Büro anrufen.«
»Ich danke Ihnen, Mr. Rayzeus, ich danke Ihnen sehr.«
»Alles Gute, Frank!« Er stand auf und hielt mir die Hand hin.
Ich schüttelte sie und ging hinaus. Es war ein wunderbarer Tag. Ich blickte auf den Brief in meiner Hand. Es war der schönste Brief, den ich je gesehen hatte. Dort stand:
Harry -
hiermit stelle ich dir Frank Kane vor. Gib ihm Arbeit. Er bekommt $ 10 die Woche.
J. Rayzeus
Diesen Mann durfte ich nicht enttäuschen! Zwei Dollar die Woche extra! Ich würde mir meinen rechten Arm für ihn abhacken lassen. Pfeifend ging ich zur Untergrundbahn in der Franklin Street.
An der 66. Straße verließ ich die Untergrundbahn und ging zu dem Laden. Es war um die Mittagszeit, und die Sonne warf merkwürdige, unregelmäßige Schatten auf die Straße. Ich sah mir den Laden eine Weile von außen an. Er war klein und hatte nur ein Schaufenster. Darüber hing ein graues Schild mit schwarzen Buchstaben: »Die Tee- und Kaffeewunderländen.« Im Fenster waren Lebensmittel ausgestellt, und die Leute gingen daran vorbei, ohne überhaupt einen Blick darauf zu werfen. Der Laden befand sich in einem renovierten Gebäude. An der Ecke daneben war ein Drugstore und auf der anderen Seite ein Malz-und Hopfen-Geschäft. Etwas weiter unten im Block sah ich eine Eisstube, ein Gemüsegeschäft und einen Metzgerladen. Alle diese Geschäfte bildeten ein kleines Einkaufszentrum. Über dem Laden war ein Klub. »Arbeiterbund« stand in großen Buchstaben auf den Fenstern.
Ich ging in den Laden. Eine Kundin stand vor einem kleinen Ständer und suchte sich Konserven aus. Ein Minn in weißer Schürze bediente sie. Ich wartete, bis sie fertig war und den Laden verlassen hatte. Dann sagte ich: »Mr. Rayzeus hat mich hergeschickt.«
»Schön!« sagte er. Er schien damit gerechnet zu haben.
Ich gab ihm den Brief. Er las ihn und steckte ihn dann in die Tasche.
»O. k.«, sagte er lächelnd. »Ich bin Harry Kronstein.« Er reichte mir die Hand.
Ich schüttelte sie. »Freut mich, Sir.«
Er griff unter den Ladentisch und gab mir eine Schürze.
»Hier, binden Sie sich das um. Als erstes können Sie den Laden auskehren.« So begann die ersehnte Arbeit.
Unseren Lunch aßen wir in der Eiscremestube.
Ich lebte mich ganz gut ein und durfte auch schon bald Kunden bedienen. Zum Schlafen ging ich wieder ins Mills-Hotel, wo ich mir ein besseres Einzelzimmer nahm.
Am Sonntag schlief ich aus. Als ich aufwachte, zündete ich mir eine Zigarette an, legte mich behaglich in die Kissen zurück und blickte den zur Decke steigenden Rauchwolken nach. Völlig entspannt schob ich einen Arm unter den Kopf und dachte über den vorhergehenden Tag nach.
Die vergangenen Wochen schienen in weiter Ferne zu liegen. Es war mir, als sei ich nie verfroren und hungrig gewesen, als hätte ich nie im Schnee gearbeitet. Ich fühlte mich wohl.
Ich dachte an den gestrigen Abend.
Als ich nach Geschäftsschluß den Laden gekehrt hatte, rief Harry mich an die Kasse, um mir meinen Lohn auszuzahlen. Er gab mir sieben Dollar und fragte mich, ob das so in Ordnung sei.
Für einen Augenblick war ich verwirrt. Dann sagte ich: »Sie haben mir zuviel gegeben. Ich habe nur drei Tage gearbeitet. Das ist eine halbe Woche. Fünf Dollar.«
Harry lächelte. »Das hat schon seine Richtigkeit. Ich lasse die Jungen sonnabends abends immer ein Paket Lebensmittel mit nach Hause nehmen. Aber Sie haben ja keine Verwendung dafür. Statt dessen gebe ich Ihnen etwas Bargeld. Wenn Sie mir gegenüber anständig sind, dann behandle ich Sie auch anständig.«
»Vielen Dank«, sagte ich. »Ich will mein Bestes tun.«
»Davon bin ich überzeugt«, sagte Harry
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