Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Moralisten

Titel: Die Moralisten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
Vom Netzwerk:
gehen kann, ehe was passiert!< Und ich schaue ihm ins Gesicht und sage: >Es ist alles in Ordnung, Mister. Machen Sie sich keine Sorgen. Äußerlich bin ich vielleicht schwarz, aber innerlich bin ich so rein und weiß wie alle weißen Frauen, die Sie je gekannt haben.< Das möchte ich ihm sagen, aber in Wirklichkeit klingt es ganz anders. Da sage ich mit leiser, heiserer, tränenerstickter Stimme: >Es ist alles bei mir in Ordnung, Mister.««
    Sie stand hochaufgerichtet vor mir und blickte mir in die
    Augen. »Es ist alles bei mir in Ordnung, Mister«, wiederholte sie.
    Der Ton, in dem sie diese Worte sprach, packte mich im tiefsten Innern. Ich drückte meine Zigarette aus, stand auf und öffnete ihr meine Arme. »Für mich bist du in Ordnung, Mädchen.«
    Sie flüchtete sich in meine Arme, legte ihren Kopf an meine Brust und weinte zum Steinerweichen. Ich ließ sie sich ausweinen. Nach einer Weile hörte sie auf. Wir standen eine Zeitlang in schweigender Umarmung.
    »Verzeih mir, was ich gesagt habe«, bat ich.
    Sie löste sich aus meinen Armen und nahm eine Zigarette aus der Packung, die ich auf den Tisch gelegt hatte. Sie zündete sie an und setzte sich. »Ich weiß nicht, warum ich dir das alles erzähle«, sagte sie so leise, daß ich sie kaum verstehen konnte. »Du bist ja nicht schuld an diesen Dingen. Aber mit irgend jemanden muß ich darüber sprechen, und den anderen kann ich es nicht sagen.«
    »Ich weiß, wie das ist, wenn man etwas auf der Seele hat und mit niemandem darüber reden kann. Das habe ich selber oft genug erlebt.«
    Sie trat an den Ausguß, wusch sich das Gesicht und kämmte ihr Haar. Ihr Haar war von Natur aus kraus und wollig, aber sie hatte es mit einer Creme weich gemacht, so daß es ihr Gesicht locker umrahmte. Ihre dunkle Haut war dünn und zart und hatte einen bläulichen Schimmer, der ihr einen weißen Unterton zu verleihen schien. Sie hatte einen mageren Körper, spitze Brüste, einen etwas vorspringenden Magen, ein hohes Hintergestell und dürre Beine, die durch die Schuhe mit den hohen Absätzen noch dürrer erschienen. Sie setzte sich wieder hin und zog an ihrer Zigarette. »Jetzt ist mir wohler«, sagte sie, und es klang wieder ganz normal.
    Mir war hundeelend zumute. Wir saßen schweigend und warteten, daß die anderen zurückkamen. Wir hörten Toms dröhnende Stimme unten im Flur. Sie drückte ihre Zigarette aus und ging zum Ausguß, um ihren Mund auszuspülen.
    »Mutter hat es nicht gern, wenn ich rauche«, erklärte sie.
    Gegen sieben Uhr ging ich fort, noch vor dem Abendessen. Ich wollte nichts von ihnen annehmen. Ihre Portionen waren schon mager genug. Ich versprach, sie in der nächsten Woche wieder zu besuchen.
    Am Ende der nächsten Woche hatte sich das neue Leben für mich in gewisser Weise eingespielt. Als ich am Freitagabend von der Arbeit kam, sprach ich mit dem Hotelportier über ein Dauerlogis. Für drei Dollar die Woche bekam ich ein Zimmer mit Bad. Es war größer als mein bisheriges Zimmer und hatte zwei Fenster nach der Straße zu und einen großen Schrank. Zwei Sessel, ein einfacher Stuhl, ein kleiner Tisch neben dem Bett, ein Ankleidetisch und eine Kommode vervollständigten die Einrichtung.
    Samstag war ein anstrengender Tag. Ich mußte den ganzen Tag herumrennen. Während der Woche hatte ich allerlei an Trinkgeldern einkassiert. Ich stelle fest, daß ich recht gut verkaufen konnte. Ich arbeitete hart, aber es machte mir Spaß.
    Der Sonntag bei der Familie Harris verlief sehr ruhig. Tom las die Zeitung, als ich eintrat und mein Paket auf den Tisch legte.
    »Wo sind die anderen?« fragte ich. »Sie machen einen Spaziergang«, sagte er.
    »Gibt's was Neues?«
    Er schüttelte den Kopf. »Nein. Ich habe einen Tag beim Kohlenabladen geholfen, aber das war auch alles.«
    »Das ist schlimm.«
    »Und ob!«
    Ich gab ihm einen Dollar. »Kauf dir ein paar Zigaretten, alter Freund«, sagte ich, »oder geh mal ins Kino. Eine kleine Abwechslung tut dir gut. Den ganzen Tag zu grübeln hat keinen Zweck.«
    »Wer grübelt hier?« fragte er, und sein glänzendes schwarzes Gesicht verfinsterte sich. »Ich nicht; ich mache mir keine Sorgen.«
    Wir warteten, bis die anderen von ihrem Spaziergang heimkehrten. Dann saßen wir herum und schwatzten von diesem und jenem. Gegen sechs Uhr verließ ich sie, aß in der Stadt, kaufte mir eine Zeitung und kehrte in mein Hotelzimmer zurück.
    Die Wochen verstrichen gleichförmig und ohne Aufregungen. Ich verdiente ausreichend Geld für einen

Weitere Kostenlose Bücher