Die Moralisten
amüsieren kannst -Jungen und Mädchen in deinem Alter.«
»Ihr seid schon ganz in Ordnung«, sagte ich. »Ihr seid so nett zu mir gewesen wie kaum sonst jemand.«
»Aber du kannst nicht mit uns ausgehen«, sagte sie, »du kannst nicht mit uns zum Tanzen gehen. Wir sind Farbige. Das gehört sich nicht.«
»Es ist mir egal, ob es sich gehört oder nicht, und außerdem mache ich mir nichts aus Tanzen.«
Darüber mußte sie lächeln. »Es gibt da noch etwas, worüber ich mit dir reden möchte. Nämlich Elly. Ich glaube, sie mag dich sehr gern, und es gibt nur Kummer für uns, wenn sie sich so was in den Kopf setzt. Ich möchte deine Gefühle nicht verletzen, aber es kommt nichts Gutes dabei heraus.«
Während mir das durch den Kopf ging, fuhr die alte Frau fort: »Sie wartet die ganze Woche auf dein Kommen, und sonntags zieht sie sich ihre besten Sachen an, weil du kommst.«
Ich wußte mehr über Elly als die alte Frau, und doch hatte mir Elly nie etwas über ihre Gefühle und Gedanken angedeutet. Ich wußte, daß ich sie nicht liebte, und ich hatte auch nicht eine Minute angenommen, daß sie in mich verliebt sein könnte. Uns verband ein gewisses Gefühl - eine Mischung aus Kameradschaft und Sex. »Ich weiß«, sagte ich schließlich, »was Sie mir sagen wollen, Mutter Harris. Ich will tun, was Sie für richtig halten. Ich möchte keinen von euch unglücklich machen.«
Sie lächelte wieder. »Ich wußte, daß du das sagen würdest, Frankie. Du bist ein guter Junge. Wir werden darüber nachdenken und überlegen, was geschehen soll.«
Sam kam mit der Limonade. Wir öffneten die Flasche und tranken jeder ein Glas. Dann fragte mich Sam, ob ich mit ihm zu einem Baseballspiel gehen wolle.
Ich wußte nicht recht, was ich tun sollte. Eigentlich wollte ich lieber auf Tom warten und ihm die gute Nachricht selbst bringen, aber Mrs. Harris drängte uns zum Gehen. Sie sagte, sie sei müde und wolle sich ein wenig hinlegen, und sie würde Tom noch nichts von der Arbeit erzählen. Ich zog mit Sam los. Auf der Treppe erzählte er mir, daß Elly zu einer Freundin gegangen sei und bald wieder nach Hause kommen werde.
Es war heiß in dem Park, wo das Baseballspiel stattfand. Die Sonne brannte erbarmungslos auf uns herunter. Aber es war ein gutes Spiel, und es machte Spaß, zuzusehen.
Als wir wieder nach Hause kamen, war es fast sechs Uhr. Tom war noch nicht erschienen. Elly drängte mich, zum Abendessen zu bleiben. Aber ich entschuldigte mich und ging in eine Imbißstube und dann in ein Kino. Ein paar Minuten nach zehn kam ich wieder heraus und beschloß, noch einmal zu den Harris' zu gehen und zu sehen, ob Tom inzwischen gekommen war. Ich schlenderte die St. Nicholas Avenue hinauf und von da aus zu der Wohnung.
Als ich um die Ecke bog, raste ein Feuerwehrauto mit schrillen Glockensignalen an mir vorbei. Irgendwo weiter unten im Block brannte es. Dichter Qualm drang aus einem Gebäude. Ich stand an der Ecke und starrte eine Weile verwirrt dorthin, ehe mir klarwurde, daß es Toms Haus war. Dann rannte ich wie besessen den Häuserblock entlang.
Eine Menge Menschen war bereits zusammengelaufen und wurde von der Polizei zurückgedrängt. Die Feuerwehrleute schoben eine lange Leiter bis zum sechsten Stock, und gewaltige Wassermassen ergossen sich in das brennende Gebäude. Ich drängte mich durch die Menge nach vorn und versuchte, jemanden von der Familie Harris zu entdecken. Es war dunkel, und ich konnte in der allgemeinen Aufregung nicht viel sehen. Eine Hand packte mich an der Schulter.
Ich wirbelte herum. Es war Tom. »Frankie!« rief er. »Wo sind sie?«
»Ich weiß es nicht«, rief ich zurück. »Ich komme gerade aus dem Kino. Warst du noch gar nicht zu Hause?«
»Nein, ich bin gerade erst gekommen.«
In diesem Augenblick kamen Sam und Elly angerannt. Sie waren völlig außer Atem. »Wo ist Mutter?« riefen sie Tom zu.
»Ich bin gerade erst gekommen. Ist sie nicht bei euch?«
»Nein«, sagte Sam. »Sie war ziemlich müde und ist früh zu Bett gegangen.«
Wir wandten uns an einen der Polizisten, einen kräftigen Farbigen.
»Hat man meine Mutter herausgeholt?« fragte Tom.
»Wie sieht sie aus?«
»Eine alte Frau - Mrs. Harris, zweiundsechzig Jahre - graues
Haar.«
Der Polizist schüttelte den Kopf. »So jemanden habe ich nicht herauskommen sehen. Da fragen Sie am besten den Feuerwehrhauptmann.«
Wir liefen zu dem Feuerwehrhauptmann und wiederholten unsere Frage. »So jemand ist nicht herausgekommen«, sagte er.
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