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Die Moralisten

Titel: Die Moralisten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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hier?« fragte sie.
    Ich schluckte erst mal runter. »Ich bin Parteimitglied«, entgegnete ich.
    »So sehen Sie gerade aus!« sagte sie im Brustton der Überzeugung.
    »Na, schön, dann bin ich eben gekommen, um mir kostenlos den Bauch vollzuschlagen.« »Was Sie nicht sagen!« rief sie höhnisch. »Tun wir das nicht alle?«
    »Möchten Sie gern tanzen?« fragte ich.
    »O. k. Ich will's riskieren.«
    Ich legte mein Sandwich auf einen Stuhl, und wir begannen zu tanzen. »Ein ganz netter Rummel hier«, bemerkte ich.
    »Kostet jedenfalls nichts«, sagte sie.
    Während wir tanzten, kamen immer mehr Leute, obwohl es schon spät war. Ich trat meiner Partnerin dauernd auf die Füße. Es war lange her, seitdem ich zuletzt getanzt hatte.
    »Sie können vielleicht Käse schneiden«, sagte sie schließlich ärgerlich, »aber vom Tanzen haben Sie keine Ahnung, verdammt noch mal!«
    Ich preßte sie fest an mich. »Das ist ja auch nur ein Vorwand«, sagte ich.
    Sie schob mich weg. »Oho!«
    Die Musik hörte auf. »Jetzt kommen die Reden«, sagte sie.
    »Möchten Sie verduften?« fragte ich. Ich hatte nämlich andere Pläne.
    Aber sie wollte nicht. Wir gingen zu dem Stuhl, auf dem ich mein Sandwich geparkt hatte. Ich nahm es in die Hand, und wir setzten uns.
    »Bleiben Sie ruhig da«, sagte sie. »Vielleicht können Sie noch etwas lernen.«
    Ich blickte mich im Raum um. Joey kletterte gerade auf einen großen Tisch, den er in die Mitte gezogen hatte, und hob die Hand. »Ruhe, bitte!« rief er. »Ich möchte um Ihre Aufmerksamkeit bitten. Wie Sie wissen, haben wir heute einen Gastredner bei uns, den Sie alle kennen und bereits gehört haben. Ich brauche ihn nicht einzuführen. Seine Arbeit in diesem Stadtbezirk kennen Sie alle. Seine Bemühungen für Sie und die Partei sind weithin bekannt. Hier kommt Gerro
    Browning.«
    Er sprang vom Tisch, und zu meiner Überraschung kletterte jetzt ein junger, großer Neger auf den Tisch. Ich blickte zu den Zuhörern. Es war eine recht gemischte Gesellschaft: Iren, Italiener, Mexikaner, Polacken - alles war da. Der Redner war der einzige Neger, den ich hier sah. Aber wie wurde er begrüßt! Alle johlten und stampften mit den Füßen, während er sich, ruhig lächelnd, im Kreise umsah.
    Dann hob er die Hand und sofort waren alle still. »Freunde«, begann er - er sprach überraschend akzentfrei -, »ich sehe hier heute abend eine Menge neuer Gesichter - Gesichter, die ich nie vorher gesehen habe. Aber es sind warme, menschliche Gesichter, von Leuten wie wir, von Leuten, die dasselbe wie wir vom Leben erwarten, und ich möchte ihnen für ihren Besuch danken.« Alle klatschten. Er wartete, bis der Beifall aufhörte. Dann fuhr er fort.
    »Heute abend will ich nicht von der Partei oder ihren Grundsätzen sprechen. Ich möchte nicht die Dinge wiederholen, die Sie alle so gut kennen. Ich will Ihnen statt dessen die Geschichte eines Mannes erzählen, der etwas weiter unten in diesem Häuserblock wohnt.
    Er ist noch nie hier oben gewesen. Er ist noch nie zu einer unserer Versammlungen gekommen. Obwohl andere und ich ihn eingeladen haben, ist er nicht gekommen. Er hat wie viele von Ihnen eine Zeitlang von der Wohlfahrt gelebt. Aber vor kurzem hat er draußen auf Long Island Arbeit bei einer Elektrizitätsgesellschaft gefunden. Wahrscheinlich ist er nie zu uns gekommen, weil er Angst hatte, daß seine Arbeitgeber ihn entlassen würden, wenn sie erfuhren, daß er zu unserem Klub gehört.
    Als er in der letzten Woche einen Graben aushob, um ein neues Kabel zu legen, stieg er mit seiner Hacke auf einen stromführenden Draht. Der Schlag, den er bekam, schleuderte ihn etwa drei Meter weit. Er erlitt schwere Verletzungen und Verbrennungen und liegt immer noch im Krankenhaus. Wir wissen nicht, ob er durchkommt.
    Als ich von dem Unfall hörte, ging ich zu seiner Frau und fragte sie, ob wir in irgendeiner Weise helfen könnten. Von ihr erfuhr ich Einzelheiten. Am selben Abend noch berichtete ich unserem Büro davon. Sie schickten sofort einen Arzt zum Krankenhaus, der sich auf solche Unfälle versteht, und sie schickten einen Kontrolleur zum Unfallort.
    Der Arzt versucht jetzt, das Leben des Mannes zu retten.
    Der Bericht des Kontrolleurs, den ich hier in der Hand habe, zeigt eindeutig, daß es sich nicht um einen gewöhnlichen Arbeitsunfall handelt, sondern um einen Unfall, der durch die Fahrlässigkeit der Gesellschaft, bei der er tätig war, entstanden ist. Ich zitiere aus dem Bericht: >Das Gesetz verlangt, daß

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