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Die Moralisten

Titel: Die Moralisten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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glaube schon.«
    »Es ist merkwürdig«, sagte er, als spräche er mit sich selber, »vor ein paar Stunden hatte ich noch ein Heim - eine Familie, einen Platz, wo ich zu Hause war. Und jetzt weiß ich nicht, wo ich bleiben soll.«
    »Willst du nicht zu mir kommen, bis wir ein bißchen Ordnung in die Dinge kriegen?« schlug ich vor.
    Er warf mir einen dankbaren Blick zu. In diesem Augenblick erschien ein großer Farbiger aufgeregt im Korridor und ging auf Sam zu. Ich erkannte in ihm den Prediger, dessen Bekanntschaft ich einmal bei einem Gottesdienst gemacht hatte.
    Sam stand auf und begrüßte ihn gemessen. »Guten Abend, Herr Pfarrer.«
    »Sam«, sagte der Pfarrer und legte ihm den Arm um die Schulter. »Ich habe von dem Unglück gehört und bin sofort gekommen. Du bleibst natürlich bei mir in meinem Haus. Du bist nicht allein. Der Herr ist immer bei dir.«
    »Sie kennen meinen Freund«, sagte Sam und deutete auf mich.
    Der Prediger sah mich an und nickte. »Ja, wir kennen uns«, sagte er und reichte mir die Hand. »Sie sind sehr tapfer gewesen«, fügte er hinzu. Ich sagte nichts.
    Zusammen gingen wir den Korridor hinunter. Am Ausgang trennten wir uns. Der Prediger nahm für sich und San ein Taxi und fragte mich, ob er mich irgendwo absetzen könne. Ich versicherte ihm dankend, daß ich allein nach Hause gehen könne. Ich sah dem Wagen nach, wie er in der Dunkelheit verschwand. Dann machte ich mich auf den Heimweg.
    FÜNFTER TEIL
    Sam ging von der Schule ab und übernahm die Arbeit auf dem Lastwagen. Er bekam ungefähr zwölf Dollar die Woche und wohnte bei Verwandten im oberen Harlem.
    Ich versuchte, den Aufenthaltsort meines Onkels durch seine frühere Firma ausfindig zu machen, aber die ganze Familie schien spurlos verschwunden zu sein.
    Im Juli fragte mich Otto, der Inhaber der Eiscremestube in unserem Häuserblock, ob ich Sonntag nachmittags für ihn arbeiten wollte. Er versprach mir zwei Dollar für den Nachmittag - von ein Uhr mittags bis acht Uhr abends. Da ich nichts anderes zu tun hatte, nahm ich sein Angebot an. Nach ein paar Wochen war ich ein ganz guter Eisbarmixer geworden, und es machte mir Spaß, mit den jungen Leuten zu reden, die die Bar besuchten. Einige von ihnen kamen aus dem Klub, der über unserem Lebensmittelgeschäft war.
    Ich hatte mir schon immer über diesen Klub Gedanken gemacht. An den Fenstern stand »Arbeiterbund« - aber das schien mir nicht ganz zutreffend, denn die Mitglieder arbeiteten nicht, sondern lebten von der Wohlfahrt. Jeden Samstagabend, wenn wir spät im Laden zu tun hatten, hörten wir über uns den Krach.
    An einem Samstagabend, als wir gegen Mitternacht zumachten, beschloß ich, hinaufzugehen und mir einmal eine solche Veranstaltung anzusehen. Ich war schon einige Male von Mitgliedern eingeladen worden, aber ich hatte bisher keine Lust gehabt, hinzugehen. An diesem Abend war ich ein bißchen ruhelos und suchte menschliche Gesellschaft.
    Es war ein großer, untapezierter Raum. In einer Ecke saß eine Vier-Mann-Band, und auf der anderen Seite stand ein Tisch mit
    Brot und Aufschnitt. Neben dem Tisch sah ich ein Faß Bier, eine Punschbowle und einige Vierliterflaschen mit rotem italienischen Wein. Einige jüngere Leute tanzten, während die älteren mit einem Sandwich in der Hand in kleinen Gruppen herumstanden und sich unterhielten.
    Ich suchte nach einem mir bekannten Gesicht. Ein Bursche namens Joey, der oft bei uns im Laden kaufte, sah mich und kam auf mich zu. »Sie habe ich hier nicht erwartet«, begrüßte er mich überrascht.
    Ich schüttelte seine ausgestreckte Hand und lachte. »Ich wollte mir doch mal ansehen, was hier so los ist.«
    »Kommen Sie«, sagte er und nahm mich beim Arm. »Ich führe Sie herum.« Er stellte mich mehreren jungen Männern und Mädchen vor, und ich nickte einigen Leuten zu, die ich vom Laden her kannte. Dann führte er mich an den Tisch und drückte mir ein Sandwich in die Hand. »Viel Spaß!« sagte er und stürzte wieder an die Tür, um jemanden zu begrüßen, der gerade hereinkam. Er schien jeden zu kennen.
    Nach einer Weile sah ich ein Mädchen, das ich auch vom Laden her kannte, im Gespräch mit einem jungen Mann. Sie kam immer zu uns und verlangte eine Flasche Ketchup. Da sie sehr rasch sprach, klang das Wort sehr komisch. Ich ging zu ihr, nahm einen Bissen von meinem Sandwich und murmelte mit vollem Mund: »Haben Sie Ihren Katship heute schon geholt?«
    Sie drehte sich um und sah mich. »Donnerwetter! Was machen Sie denn

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