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Die Moralisten

Titel: Die Moralisten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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das Kind auf den Boden und setzte sich.
    Aus dem Ton ihrer Bemerkung wußte ich, was er ihr geantwortet hatte. »Nun, was kann ich da noch für Sie tun?« sagte ich und wandte mich zur Tür. Dann kam mir eine Idee. Ich kehrte wieder um. »Außer daß...« Ich sagte nur diese beiden Worte, aber das Schweigen, das ihnen folgte, sagte genug.
    Zuerst blickte sie mit einem Hoffnungsschimmer in ihren Augen zu mir auf, der aber schnell dahinschwand, als sie mein Gesicht sah. Sie wurde rot und blickte auf ihre Hände, die sich nervös verkrampften.
    Auch ich blickte auf ihre Hände. Sie waren rot und häßlich von der Arbeit. Es waren die Hände einer jungen Frau, die vorzeitig durch jegliche Art von Hausarbeit gealtert waren.
    »Nein«, flüsterte sie. Sie sprach so leise, als ob sie mit sich selber redete. »Nein! Nein! Nein!«
    »O. k., Lady«, sagte ich hart, »wenn Sie's nicht anders haben wollen. Aber machen Sie sich nichts vor. Wir wissen beide, wie groß die Chance ist, daß er heute Arbeit gefunden hat.« Ich ging zur Tür und legte meine Hand auf die Klinke.
    »Einen Augenblick«, rief sie. »Ich muß überlegen.« Sie legte den Kopf in ihre Hände, während das kleine Mädchen uns beide ernsthaft anstarrte.
    Ich verlor meine Nervosität. Ich konnte gewissermaßen sehen, wie das Räderwerk in ihrem Kopf arbeitete. Ich wußte, wie die Antwort lauten würde - wie sie lauten mußte.
    Endlich blickte die Frau zu mir auf. Es war noch etwas aus ihrem Gesicht verschwunden - ich wußte nicht, was, aber sie sah ganz anders aus. Sie sagte zu dem Kind: »Laura, lauf nach unten und warte auf Vati. Ruf mir durchs Fenster zu, wenn er kommt.«
    Das Kind ging bedächtig durch die Tür, die ich ihm offenhielt. Es drehte sich noch einmal um, winkte uns zu und marschierte dann die Treppe hinunter. Ich wartete, bis sie ganz unten war, ehe ich die Tür schloß. Dann stellte ich meinen Karton auf den Boden und ging zu der Frau. Sie sah mich einen Augenblick an und ging dann vor mir her ins Schlafzimmer. Es war ein kleiner Raum mit einem kleinen Fenster. Ein sauber gemachtes Dreiviertelbett stand in der Mitte und ein Kinderbettchen in einer Ecke. Eine kleine Figur der Jungfrau mit dem Kind hing an der Wand zu Füßen des Bettes. Ein Bild der Frau mit ihrem Mann stand auf der Kommode. Sie blieb einen Augenblick davor stehen und sagte dann: »Nicht hier.« Sie ging weiter in das Wohnzimmer.
    Ich folgte ihr. Sie setzte sich auf die Couch, zog die Schuhe aus und streckte sich dann aus.
    Ich setzte mich auf den Rand der Couch. Das Herz schlug mir bis zum Hals, und ich fühlte die Härte in meinen Lenden. Ich legte meine Hand auf ihren Leib, oberhalb der Schenkel. Ihre Haut war eiskalt, und sie zuckte bei der Berührung zusammen.
    Und dann machte ich einen Fehler. Unwillkürlich sah ich ihr ins Gesicht.
    Das war keine Frau mehr, die ich da vor mir hatte. Es war eine leere Hülse. Ich betrachtete sie eine volle Minute. In dieser Minute bewegte sie nicht einen Muskel. Sie lag genauso da, wie ich sie hingeschoben hatte, und starrte mich an.
    Ich sprang auf die Füße und zog meine Hose hoch. Zuerst sah sie mich an, als ob sie ihren Augen nicht traute. Dann stand sie auf. »Vielen Dank für die Schlittenfahrt!« sagte ich. »Sie können die Lebensmittel behalten.« Ich wollte in die Küche gehen.
    Sie trat einen Schritt vor. »Mister«, sagte sie, und plötzlich fiel sie gegen mich.
    Ich fing sie auf, ehe sie zu Boden stürzte. Plötzlich war sie warm. Ich spürte, wie die Kälte ihrer Haut der Hitzewelle wich, die ihren Körper wie Feuer zu durchfluten schien. Ihr Kopf ruhte an meiner Schulter, und sie weinte - diesmal ohne Tränen. Ich preßte sie fest, aber unbeteiligt an mich, denn aus ihren Beinen schien alle Kraft gewichen zu sein.
    »Mister«, schluchzte sie, »Mister, Sie haben ja keine Ahnung, was wir durchgemacht haben - wie viele Male Mike gehungert hat, damit das Kind zu essen bekam, auf wie vieles er verzichtet hat.«
    Sie war verrückt. Hier lag sie in meinen Armen und jammerte über die Opfer ihres Mannes. Was sie selbst für das Kind getan hatte, daran dachte sie offenbar nicht. Ich schämte mich plötzlich.
    »Beruhigen Sie sich«, sagte ich. »Machen Sie sich keine Sorgen.«
    Sie blickte zu mir auf. Ihre Augen waren wie tiefe Seen voller Dankbarkeit, in die mein Blick tief hineintauchte. »Sie sind ein anständiger Mensch«, flüsterte sie.
    »Ich weiß, ich weiß.« Ich lachte kurz auf. Grünschnabel Kane, Trottel ersten

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