Die Moralisten
Fahrtwind jäh ins Polster zurückgepreßt. Sie wurde nervös. Wenn die Wagen vor ihnen nicht sofort nach rechts und links auswichen, dann waren sie tot die Fahrer in allen drei Wagen. Kaum hatte sie das gedacht, da preschte der Ferrari zwischen den Konkurrenten hindurch, die in letzter Sekunde Platz gemacht hatten.
Absichtlich sägte Cesare jetzt mit seinem Wagen auf der Straße hin und her. Luke Nichols konnte erkennen, daß die anderen Fahrer fluchten, weil er es ihnen fast unmöglich machte, auf der Fahrbahn zu bleiben.
Sie kamen jetzt in eine lange Gerade. Der Vorsprung des Ferrari war nur gering. Erst jetzt fuhr Cesare ihn voll aus. Der Tachometer sprang auf 210, und schon fielen die Konkurrenten beträchtlich zurück.
Lachend sah Luke sich nach ihnen um. Nun wußte sie, was Esteban in der Garage gemeint hatte. Obgleich dies ein Rennen war, das Cardinali nicht beenden sollte, fuhr er so selbstverständlich wie stets. Aufs Fahren verstand er sich alle Achtung! Esteban hatte recht: Wenn er wollte, hätte er Weltmeister werden können.
Sie spürte plötzlich seine freie Hand auf ihrer und sah ihn an. Mit einem spöttischen Lächeln wandte er ihr sein Gesicht zu.
Für Augenblicke war sie erregt bei dem Gedanken, was dieser Mann mit ihr tun, welche Leidenschaften er in ihr entfachen könnte. Dann rückte sie von ihm ab. Was ist denn bloß mit mir? grübelte sie. Es lohnt sich nicht. Muß ich es denn immer darauf anlegen, das Spiel zu verlieren?
Sie blickte auf den Kilometerzähler. 160 Kilometer vom Startpunkt. Behutsam tippte sie Cesare auf die Schulter und sagte: »Drosseln Sie das Tempo. Wir wollen die anderen lieber vorbeilassen.«
Er nickte. Der schwere Ferrari verlor Geschwindigkeit. Als sie auf 100 Stundenkilometer herunter waren, kam es ihnen vor, als ständen sie still. Nach wenigen Minuten zogen die Wagen, die sie vorher abgehängt hatten, mit viel Gehupe an ihnen vorbei.
Cesare schüttelte den Kopf. »Die Partie ist zu Ende.«
»Sie hatte nie richtig angefangen«, gab sie zurück und sah unverwandt auf den Kilometerzähler. Die Zahl 184 kam an der kleinen Scheibe zum Vorschein. Cesare schien nicht darauf zu achten.
Hundert Stundenkilometer, das war noch zu schnell, wenn eine auch nur winzige Sprengladung den Generator zerstören sollte, aber egal - sie war ja nicht feige. Da, die 184 war ganz sichtbar. Cesare lachte wieder und gab mehr Gas. Im Moment, da der Wagen sprunghaft anzog, ertönte unter der Haube eine gedämpfte Explosion. Der Motor verstummte, und der Ferrari sauste im Zickzackkurs weiter.
Luke sah, wie sich die Muskeln auf Cesares Unterarmen kantig spannten, während er, ein paarmal kurz bremsend, den Wagen auf geraden Kurs zu zwingen suchte. Endlich rollten sie weiter, in erheblich vermindertem Tempo. Langsam ließ Luke den Atem, den sie unwillkürlich angehalten hatte, aus den Lungen. »So, nachdem Sie nun Ihren Spaß gehabt haben, Mr. Cardinali«, sagte sie sarkastisch, »ist es wohl richtiger, erst einmal an die Seite zu fahren.«
Er lenkte den Ferrari zur Graskante. Dabei lächelte er sie an.
»Achtung! Der Graben!« schrie Luke.
Er riß das Lenkrad scharf nach links herum doch es war zu spät: Die Räder an der rechten Seite rutschten in den Graben, das schwere Fahrzeug drückte sie in den sandigen Boden. Der Wagen überschlug sich.
Cesare glitt unter dem Wagen heraus, stand auf und zog seinen Sturzhelm vom Kopf. Aus der Motorhaube kamen kleine Qualmwölkchen. »Luke, sind Sie verletzt?« rief er.
Schwach drang ihre Stimme zu ihm. »Nein.«
Er lief um den Wagen, kniete sich hin und spähte unter den Rand. Sie umklammerte die Rücklehne ihres Sitzes und wand sich hin und her, um herauszukommen.
»Worauf warten Sie noch?« rief er. »Beeilen Sie sich, schnell! Hinten im Tank sind noch zweihundert Liter!«
Sie sah ihn erbittert an. »Was glauben Sie denn, was ich hier mache? Einen Schlangentanz etwa?« Sie wand sich wieder heftig, doch plötzlich lachte sie. »Mein Overall ist irgendwo festgehakt.«
Er warf sich zu Boden und kroch ein Stück unter den Wagenrand. »Konnten Sie das nicht gleich sagen?« Er faßte mit beiden Händen zu und zerriß ihren Overall, dann fühlte sie seine Arme unter ihren Schultern. »Die Schuhe wegstoßen!« befahl er.
Mechanisch gehorchte sie und merkte, wie sie sofort weiterrutschte und auf einmal neben ihm lag. Sie lachte, obwohl ihr gar nicht danach zumute war.
Er sah ihr in die Augen, ein dünnes Lächeln zuckte um seine Mundwinkel.
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