Die Moralisten
nickte. Er betrachtete sie bewundernd, als sie hinter ihren Schreibtisch trat und zum Telefon griff. Rasch wählte sie eine Nummer.
Er hörte die Stimme eines Mannes am anderen Ende. »Hank«, erklärte sie ruhig, »man hat mich gerade verhaftet ... Nein, ich bin noch immer in meinem Büro ... Ja ... Ich sehe Sie dann drüben.«
Sie legte den Hörer auf und sah Joel an. »Jetzt bin ich bereit.«
Er trat zur Seite, um sie an sich vorbeigehen zu lassen. Sie schritt durch die Tür ins Vorzimmer. Dort stand der farbige Diener, und sein Gesicht war grau. Sie blieb stehen und sagte zu ihm: »Machen Sie sich keine Sorgen, Tom. Fahren Sie nach Hause und richten Sie das Essen für heute abend. Und telegrafieren Sie Michelle, daß uns dringende Geschäfte aufgehalten haben.«
Tom stand in Vitos Büro und sah Joker Martin besorgt an. »Hat Miß Maryann große Unannehmlichkeiten?«
Martin streifte Hank Vito mit einem Blick und wandte sich dann erneut an Tom. »Große Unannehmlichkeiten.«
»Und alles wegen dieses Staatsanwalts, der in der Zeitung genannt wird und das Verfahren eingeleitet hat? Wegen dieses Mr. Keyes, der jetzt in Urlaub gefahren ist, während Miß Maryann mit all ihren Sorgen zurückbleibt?« Toms Stimme zitterte vor Empörung.
»Der ist es«, erwiderte Joker Martin ruhig.
»Ein gemeiner Mensch, Mr. Martin«, erklärte Tom ernst. »Dies alles Miß Maryann anzutun, nur weil sie ihn nicht heiraten will.«
»Wie bitte?« Martin beugte sich vor. »Was wollen Sie damit sagen?« Eine verschwommene Erinnerung begann in ihm aufzusteigen. Ross’ Freund, der junge Bursche, der sie nach der Arbeit im Tanzlokal immer abgeholt hatte. Auch er hieß Mike. Er starrte Tom an. »Was wollen Sie damit sagen?« wiederholte er.
»Er ist Michelles Vater.«
»Woher wissen Sie das?« fragte Vito. »Hat sie es Ihnen gesagt?« Tom schüttelte den Kopf. »Das würde sie nie tun.«
»Woher wissen Sie es denn?« fuhr Vito fort. »Wenn wir das beweisen könnten, würde es mir gelingen, sie billig davonkommen zu lassen. Jedes Geschworenengericht der Welt würde es als eine abgekartete Sache ansehen.«
»In einer Kommodenschublade in ihrer Wohnung hat sie Michelles Geburtsurkunde. In ihr ist er als Vater angegeben. Ich habe es viele Male beim Aufräumen gesehen«, erklärte Tom.
Vito war erregt aufgesprungen. »Fahren Sie sofort nach Hause. Holen Sie die Urkunde und bringen Sie sie her. Geben Sie sie keinem andern als mir. Verstanden?«
Tom war bereits unterwegs zur Tür. Mit einem glücklichen Lächeln blickte er zurück. »Jawohl, Sir, ich habe verstanden.« Die Tür schloß sich hinter ihm. Vito wandte sich an Martin.
»Was sagen Sie dazu?«
»Hol mich der Teufel!« rief Joker Martin verblüfft. »Und die ganze Zeit über hat sie uns nichts davon gesagt.«
»Glauben Sie, daß sie diesen Mike Keyes noch immer liebt?«
Joker Martin zuckte die Achseln. »Ich habe schon vor langer Zeit aufgehört, sie verstehen zu wollen.«
»Diese Überraschung spare ich mir für den Prozeß auf«, erklärte Vito. »Glauben Sie, daß Keyes es weiß?«
Joker Martin schüttelte den Kopf. »Nein. Ich glaube, sie hat es niemals jemandem erzählt. Vielleicht Ross, und er kann darüber nicht mehr aussagen.«
Vito trat an seinen Schreibtisch. »Ich kann diese Frau nicht begreifen«, sagte er verwundert. »Ich habe sie heute morgen im Gefängnis gesprochen. Sie ist jetzt schon drei Tage dort und hat mir nichts davon gesagt. Ich frage mich, ob es ihr überhaupt klar ist, daß ich sie damit herausholen kann.«
»Selbst wenn sie es wüßte, bezweifle ich, daß sie etwas sagen würde«, meinte Joker Martin lächelnd. »Erinnern Sie sich, was Sie mir vor langer Zeit einmal sagten, als Sie mir zum erstenmal von ihr erzählten?«
Vito schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Sie ist eine besondere Art von Hure«, zitierte Joker Martin. »Eine Hure mit Moralgesetz.«
Die Staatsanwaltschaft gegen Maryann Flood
Joel blickte von seinem Tisch auf, als ich das Büro betrat. Sein Gesicht wirkte besorgt. »Der Alte schreit wie am Spieß nach Ihnen. Nehmen Sie die Beine in die Hand und sausen Sie nach oben.«
»Was will er denn?« fragte ich und warf Hut und Mantel auf einen Stuhl.
»Das weiß ich nicht. Ich habe nur gehört, daß Vito bei ihm ist. Das gefällt mir nicht.«
»Vito?« fragte ich.
Joel nickte. »Beeilen Sie sich lieber.«
Die Sekretärin des Chefs machte mir ein Zeichen, sofort in sein Büro zu gehen. Der Chef saß an seinem
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