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Die Moralisten

Titel: Die Moralisten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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»Atmen Sie tief ein.«
    Sie füllte ihre Lungen mit Luft und verhielt sich völlig still. Er hatte eine leichte, sichere Hand, und schon war es vorbei. Sie wollte sich bereits aufrichten, aber eine Hand auf ihrer Schulter hinderte sie daran.
    Er hob das Tuch, bis es ihre Augen vor dem Licht schützte. Hinter dem Tuch hörte sie seine leise Stimme. Er sprach mit den Assistenten.
    »Kaiserschnitt bei der letzten Entbindung. Verengte Eileiter. Wird wieder notwendig sein.«
    Das Laken sank herab. Sie setzte sich auf. Fragend sah sie den Arzt an.
    »Warum sind Sie denn wieder schwanger geworden, Mrs. Ritchik?« fragte er. »Laut Bericht hat man Ihnen gesagt, Sie sollten vorsichtig sein, da ein weiteres Kind Ihr Leben gefährden könnte.«
    Sie zuckte die Achseln. Diese Männer verstanden nie etwas. Für sie war alles einfach.
    Der Arzt wandte sich von ihr ab und begann sich die Hände in einem
    Becken mit Wasser zu waschen, das die Lernschwester soeben hingestellt hatte. Er sprach über seine Schulter hinweg mit Katti. Seine Worte waren für ihn Routinesache. Er wußte auch, daß sie unbeachtet blieben.
    »Gehen Sie viel an die Sonne und an die frische Luft und ruhen Sie sich gut aus. Und mindestens zwei Monate lang keinen Beischlaf. Reichlich nahrhaftes Essen, Milch, Orangensaft.« Er schrieb ein Rezept aus und reichte es ihr. »Nehmen Sie das und kommen Sie in einem Monat wieder.«
    Sie sah ihn an. »Wann werde ich das Kind bekommen, Herr Doktor?«
    Seine Augen waren abweisend. »Sie werden Ihr Kind nicht bekommen«, erklärte er ihr erbarmungslos. »Wir müssen es Ihnen nehmen.«
    Ihr Gesicht blieb ruhig. Sie hatte das alles schon vorher gewußt. »Wann, Herr Doktor?« fragte sie nochmals mit freundlicher Beharrlichkeit.
    »November oder Dezember«, antwortete er. »Wir können Sie es nicht die ganzen neun Monate austragen lassen.«
    »Ich danke Ihnen, Herr Doktor«, erwiderte sie ruhig.
    Der Arzt ging hinaus. Die beiden Assistenten folgten ihm schweigend. Raschelnd fiel der Vorhang hinter ihnen zurück. Langsam ließ sich Katti vom Tisch heruntergleiten und griff nach ihren Kleidern. Es war also gar nicht so schlimm. Bis Oktober würde sie arbeiten können. Der Vorhang raschelte, und sie hielt ihr Kleid vor sich.
    Es war einer der Assistenten. Er lächelte sie verlegen an. »Entschuldigen Sie, Mrs. Ritchik«, sagte er, »aber ich habe das da vergessen.« Er streckte die Hand aus und nahm die Urinprobe vom Regal.
    »Es macht nichts«, sagte sie.
    Er streifte sie mit einem raschen Blick und lächelte nochmals. Es war ein scheues Lächeln. »Machen Sie sich keine Sorgen, Mrs. Ritchik. Es wird alles glatt gehen.«
    Sie erwiderte sein Lächeln. »Ich danke Ihnen, Herr Doktor.«
    Der Vorhang fiel zurück. Ruhig zog sie sich weiter an, ging hinaus und zahlte der Schwester die Krankenhausgebühr von fünfundfünfzig Cent. Dann ging sie den Gang entlang zur Krankenhausapotheke und gab das Rezept ab.
    Während sie auf das Medikament wartete, fragte sie sich, wie sie es Marja sagen sollte. Marja würde kein Verständnis haben. Sie würde es lediglich als eine weitere Zurücksetzung empfinden und sich verletzt fühlen.
    Ihr Name wurde aufgerufen, und sie erhielt das Medikament. Es waren Tabletten, die sie dreimal täglich nehmen sollte. Sie steckte sie in ihre Handtasche und ging hinaus. Am Ende des Blocks erblickte sie die Türme von St. Augustin.
    Sie beschloß hineinzugehen und mit Pater Janowicz zu sprechen. Er war ein kluger Mann und er würde ihr raten, was zu tun sei.
    9
    Marja setzte sich im Gras auf, schlang die Arme um die Knie und blickte über den Hudson River hinweg. Die Dämmerung sank herab. Am Jerseyufer leuchteten die Lichter wie Glühwürmchen auf. Ein leichter, warmer Wind spielte mit ihrem Haar. »Ich muß für den Sommer eine Arbeit suchen«, sagte sie plötzlich.
    Ross drehte sich auf die Seite und blickte zu ihr auf. »Warum?« fragte er.
    »Wir brauchen die Moneten«, antwortete sie. »Unser Alter liebt das Bier zu sehr, um arbeiten zu gehen. Meine Mutter arbeitet nachts. Aber es reicht nicht.«
    »Was könntest du denn tun?« fragte er interessiert. »An was für eine Arbeit hast du gedacht?«
    »Ich weiß nicht«, antwortete sie aufrichtig. »Ich habe noch nie weiter darüber nachgedacht. Vielleicht Verkäuferin.«
    Er lachte auf.
    »Was ist daran so komisch?« fragte sie.
    »Da kriegst du nicht viel«, erklärte er. »Vielleicht acht Dollar die Woche.«
    »Acht Dollar sind acht Dollar«, entgegnete

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