Die Moralisten
Kopfschmerzen?« »Nein.«
»Hast du Schwierigkeiten, deine Bewegungen zu koor-dinie ren? Schwindelgefühle? Orientierungsschwierigkeiten?
Sinnestrübungen?« »Nein.«
»Sexuelle Schwierigkeiten, Magen-Darm-Störungen oder urologische Probleme?« »Nein.«
Sofia dachte einen Augenblick nach. »Leidest du unter Schlafstörungen? Konzentrationsschwierigkeiten?
Körperlichen oder geistigen Ermüdungserscheinungen?« »Nein.«
»Nimmst du zu oder ab?«
»Nein. Mein Gewicht liegt immer bei zweiundachtzig Kilo.« »Hat sich deine Körpergröße verändert?«
Judd lachte. »Das ist eine komische Frage. Immer noch ein Meter sechsundachtzig. Warum fragst du?« »Beim Älterwerden schrumpft das Skelett.« »So alt bin ich doch noch nicht«, protestierte er lachend. »Nein«, sagte sie. »Ich frage nur sicherheitshalber.« Nachdenklich trank sie einen Schluck Saft. Dann untersuchte sie seine Augen. Sie waren vollkommen klar und schimmerten im hellen Sonnenschein kobaltblau. »Hast du das Gefühl, daß sich deine Denkvorgänge verlangsamt haben?« »Ganz im Gegenteil«, erwiderte er. »Ich glaube, ich de nke jetzt schneller. Manchmal schießen mir die Gedanken so rasend schnell durch den Kopf, daß ich sie ganz bewußt verlangsamen muß, um sie festhalten zu können. Sonst ist der Gedanke fast schon die Tat.« »Ist das jetzt auch so?« fragte sie.
»Ich weiß nicht, wie du das meinst.«
»Siehst du mich, wie ich jetzt bin?« fragte sie. »Oder siehst du mich, wie ich vor der kosmetischen Operation war?« Er starrte sie aufmerksam an. »Du siehst immer gleich aus.« »Schließ jetzt mal deine Augen«, bat sie. Sie wartete, bis seine Lider geschlossen waren. »So, jetzt beschreibe mich bitte.« »Du bist einen Meter fünfundsechzig oder siebzig groß, du wiegst ungefähr fünfundfünfzig Kilo. Du hast langes blondes Haar, graue Augen, üppige, birnenförmige Brüste mit spitzen Nippeln, dein Taillenumfang ist ungefähr sechzig, dein Hüftumfang fünfundneunzig oder etwas mehr ...« »Das genügt«, unterbrach sie ihn. »So, jetzt mach die Augen wieder auf und beschreibe mich noch einmal, bitte.« Er machte ein überraschtes Gesicht. »Du siehst ja ganz anders aus, als ich dachte. Du hast kurzes braunes Haar und braune Augen.«
Seine Stimme klang unsicher. »Warum habe ich mich denn so geirrt?«
»Du hast deine Erinnerungen beschrieben«, lächelte Sofia, »und nicht die Realität.«
Judd dachte einen Augenblick nach. »Ist das schlimm?« »Nein«, beruhigte sie ihn. »Ganz normal. Vor unserem inneren Auge stehen immer Erinnerungsbilder. Es dauert eine Weile, bis diese Erinnerungen durch die Wirklichkeit verdrängt werden.«
Aber ich dachte, meine Denkvorgänge hätten sich beschleunigt«, wandte Judd ein.
Pas kann schon sein«, entgegnete Sofia. »Aber mein neues Erscheinungsbild hat sich wahrscheinlich noch nicht sehr stark eingeprägt. Du hast es einfach übersprungen und auf ältere Erinnerungsbilder zurückg egrif-fen.
Wenn du deine Augen jetzt noch einmal schließt, siehst
du vielleicht das neue Bild.«
Er schloß seine Augen und konzentrierte sich einen Moment. »Du hast recht«, bestätigte er, öffnete seine Augen und sah sie enttäuscht an. »Und ich dachte, ich hätte meine geistigen Fähigkeiten ungeheuer gesteigert.« »Bist du jetzt frustriert?« fragte sie.
»Ja«, nickte er. »Ich dachte, ich wäre allen anderen weit voraus.«
»Das bist du auch«, sagte sie. »Aber vergiß nicht, daß du immer noch ein Mensch bist.«
»Wird das immer so bleiben?« fragte er. »Werde ich immer nur in meinen Erinnerungen leben?«
»Wahrscheinlich«, meinte sie. »Außer wenn du tatsächlich unsterblich wirst. Dann wirst du eine Methode finden müssen, um dein Gehirn von Zeit zu Zeit zu entlasten. Sonst bricht es unter deinen Erinnerungen zusammen.« Judd runzelte die Stirn. »Ist das vielleicht der Grund, warum mein Gehirn wächst? Versucht es vielleicht, seine Speicherkapazität zu vergrößern?«
»Ich weiß nicht«, sagte Sofia. »Ich glaube nicht, daß es so ist. Das menschliche Gehirn ist das Ergebnis der Evolution. Das Ergebnis eines Vorgangs, der Millionen Jahre gedauert hat. Die Medizin kennt keinen einzigen Fall, in dem ein menschliches Gehirn sich aufgrund einer besonderen Belastung physisch angepaßt hätte. Unsere hundert Milliarden Gehirnzellen reichen vollkommen aus, um alles zu speichern, was uns im Laufe des Lebens begegnet.« Sie dachte einen Augenblick nach. »Trotzdem sollten wir vorsichtig
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