Die Moralisten
festhalten.«
»Das sind also die Pluspunkte«, stellte Judd fest. »Und worin bestehen die Probleme?« »Erstens die Sicht«, zählte John D. auf. »Ohne Nebel oder eine niedrige Wolkendecke sind unsere Männer bestimmt gut zu sehen. Zweitens kann es Probleme mit dem Wind geben. Wenn der Wind von der See kommt und mehr als zwanzig Stundenkilometer erreicht, werden unsere Drachenflieger schon weit vor der Grenze des Grundstücks zu Boden gedrückt. Und schließlich können die Wachen einen Alarm auslösen, wenn wir nicht alle Wächter und Hunde gleich zu Anfang erwischen.«
»Wie wollt ihr denn die Wachen zum Schweigen bringen?« fragte Judd.
John D. zog eine eigenartige langläufige Pistole aus der Schublade. »Dieses Ding hier kann zwölf Giftpfeile in zwanzig Sekunden abschießen. Jeder, der so einen Pfeil abbekommt, bleibt vier Stunden bewußtlos, ganz egal, wohin man ihn trifft. Danach hat er noch zwei Stunden lang einen ziemlichen Kater. Für Hunde gilt das natürlich genauso.« »Und was geschieht, wenn es klappt?« fragte Judd. »Ich dachte, Sie warten auf dem Highway im Wagen«, sagte John D. »Wir machen das Tor auf, und Sie fahren herein wie der Präsident höchstpersönlich.« »Wann soll das Ganze denn losgehen?« »Das hängt vom
Wetter ab«, erklärte John D. »Die Vorhersage für die nä chste Woche klingt nicht sehr günstig. Es soll die ganze Zeit klar bleiben. Aber hier an der Küste kann man nie wissen. Nebel kann es praktisch jede Nacht geben.«
»Können Sie mir eine gewisse Vorwarnung geben? Sagen wir, vierundzwanzig Stunden?« fragte Judd.
»Ich glaube schon«, meinte John D. »Warum?« »Sofia hat vor zehn Tagen ihren kleinen Urlaub genommen.
Ich dachte mir, ich fliege mal rüber und sehe nach, wie es ihr geht.«
»Sie hat das Programm abgelehnt«, sagte John D. »Ich weiß«, nickte Judd. »Sie hat gesagt, sie wollte niemand anderes sein, sondern sie selbst bleiben.« »Das muß man ihr lassen«, lächelte John D. »Die Dame hat Mut.« Judd lachte. »Und nicht nur das.«
»Wir müssen ganz neue Sicherheitsvorkehrungen treffen«, gab John D. zu bedenken.
»Stimmt«, nickte Judd. »Das sind nun einmal die Spielregeln.«
15
Es klopfte an der Tür. »Mrs. Evans?«
Sie erkannte Judds Stimme. »Einen Augenblick«, rief sie, stellte sich vor den Spiegel und frischte ihr Make-up auf. Ein bißchen Lipgloss, ein bißchen dunklen Puder, und schon war sie fertig. Sie ging zur Tür und öffnete. »Ja, bitte?« Sie verzog keine Miene.
Judd starrte sie verblüfft an und lächelte unsicher. »Mrs. Evans? Ich glaube, ich habe mich geirrt. Kenne ich Sie?«
»Judd!« lachte sie und umarmte ihn stürmisch. »Na, erkennst du mich jetzt?« Sie schmiegte sich an ihn und küßte ihn auf den Mund.
»Kein Irrtum mehr möglich«, lächelte er. Er sah sie bewundernd an. »Mein Gott, bist du schön«, sagte er.
»Die können mit dir machen, was sie wollen, das können sie dir nicht nehmen. Du bist und bleibst schön.«
»Gefällt es dir wirklich?«
»Ja. Du bist völlig verändert und zugleich wunderschön. Du hattest übrigens recht, dir die Zähne nicht überkronen zu lassen. So wie es ist, genügt es vollkommen.« »Bring mich bloß nicht zum Heulen«, sagte Sofia und versuchte zu lachen, »sonst verliere ich meine Kontaktlinsen. Ich habe mich noch nicht daran gewöhnt.« Judd lächelte. »Du bist eben doch eine Frau.« Sofia nickte, sie wußte, was er meinte. »Kannst du mir einen ärztlichen Rat geben?« fragte Judd. »Oder hast du keine Lust, über medizinische Fragen zu reden?«
Sofia führte ihn zum Fenster, wo sie sich an den Tisch setzten. »Magst du frischen Ananassaft?« fragte sie. »Gern«, sagte er.
Sofia ging zum Kühlschrank, nahm eine Karaffe heraus und füllte zwei Gläser. »Champagner ist es zwar nicht, aber trotzdem: Cheers!« »Cheers.«
»So«, sagte sie. »Was gibt es?«
Judds Gesicht war ernst geworden. »Doc Sawyer will, daß ich mit der gesamten Therapie sofort aufhöre.«
»Hat er gesagt, warum?«
»Die Scanner-Bilder zeigen eine minimale Vergrößerung meines Gehirns. Es handelt sich um eine Volumenvergrößerung von weniger als einem halben Millimeter, und sie erstreckt sich über die gesamte Oberfläche.
Es ist also kein Tumor und keine Geschwulst. Andererseits ist diese Vergrößerung innerhalb der letzten zehn
Monate eingetreten; denn damals war ich das letzte Mal unter dem Scanner.« »Spürst du denn einen ungewöhnlichen Druck im Schädel? Oder hast du oft
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