Die Mordbeichte
Hebt ihn auf!«
Der Raum wurde als Sarglager benutzt.
Obgleich sie eigent lich nicht hier gezimmert wurden, standen ein paar
Werkbän ke herum, und auf einem Gestell an der Wand lag eine
Auswahl Tischlerwerkzeuge.
»Bitte, Mr. Meehan!« bettelte Ainsley.
Meehan nickte Donner zu, und Bonati
zerrte Ainsley über eine Werkbank, die Arme ausgebreitet, die
Handflächen nach oben.
Meehan stand über ihm.
»Ich werde dir jetzt eine Lektion erteilen, Henry. Nicht, weil du
versucht hast, mich um zwanzig Pfund zu bescheißen. Das ist nicht
das schlimmste. Ich denke an dieses alte Mädchen. Sie hat nie
etwas in ihrem Leben gehabt. Alles, was sie überhaupt je
besaß, wird ver scharrt.« Sein Blick war verschleiert, und
seine Stimme hatte einen leicht verträumten Klang. »Sie
erinnerte mich an meine alte Dame – ich weiß nicht, warum.
Nur eines weiß ich: Sie hat etwas Respekt verdient – so wie
ihrem alten Knaben etwas Besseres als ein Armenbegräbnis
zusteht.«
»Sie haben es falsch verstanden, Mr. Meehan«, plapperte Ainsley rasch.
»Nein, Henry, du hast es falsch verstanden.«
Meehan wählte zwei lange
Drahtstifte, prüfte mit einem Daumen die Spitze des einen und
trieb ihn durch die Mitte der rechten Handfläche Ainsleys, seine
Hand damit an die Bank festnagelnd. Als er das gleiche mit der anderen
Hand vor nahm, fiel Ainsley in Ohnmacht.
Meehan wandte sich Donner zu.
»Fünf Minuten, dann er löse ihn und sag ihm, wenn er am
Morgen nicht rechtzeitig im Büro erscheint, werde ich ihm seine
Eier massieren.«
»In Ordnung, Mr. Meehan«, sagte Donner. »Was ist mit Fallon?«
»Ich bin im Behandlungszimmer.
Muß ein paar Einbalsa mierungen vornehmen. Wenn Fallon kommt,
halt ihn so lange im Büro auf, bis ich in die Wohnung hochgehe.
Dann führ ihn rauf. Und Albert soll sich sofort oben
einfinden.«
»Glacehandschuhbehandlung, Mr. Meehan?«
»Was sonst, Frank.«
Meehan lächelte, tätschelte eine Wange des bewußtlosen Ainsley und ging hinaus.
Das Behandlungszimmer befand sich auf
der anderen Seite von der Leichenhalle. Meehan schloß die
Tür hinter sich. Er war gern allein bei solchen Gelegenheiten. Die
Arbeit erfor derte Konzentration; außerdem bekam das Ganze eine
per sönliche Note dadurch.
Auf dem Tisch in der Mitte des
Zimmers wartete ein Leichnam auf ihn. Er war zugedeckt. Daneben lag auf
einem Wagen, sauber auf einem weißen Tuch ausgebreitet, sein
Handwerkszeug.
Er zog das Laken weg. Es war der
Leichnam einer vierzig jährigen Frau – dunkelhaarig,
gutaussehend. Sie war mitten im Satz gestorben, während sie mit
ihrem Mann das Weih nachtsprogramm besprochen hatte. Herzversagen. Noch
im mer spiegelte sich ein leicht erstaunter Ausdruck in ihrem Gesicht
– wie bei vielen Toten.
Meehan nahm eine lange gebogene Nadel
und hob mit ge schickten Stichen die Kinnlade an. Unter die Lider
stopfte er Wattebällchen, ehe er sie schloß, ebenso zwischen
die Lippen und das Zahnfleisch und die Wangen, um so dem Gesicht ein
volleres, natürlicheres Aussehen zu geben.
Er war völlig in seine Arbeit
vertieft, pfiff leise durch die Zähne, hatte die Stirn gerunzelt.
Seine Wut auf Ainsley war restlos verflogen. Selbst Fallon hatte zu
existieren aufgehört. Er schmierte mit dem Finger etwas Creme auf
die kalten Lippen, trat zurück und nickte zufrieden. Nun konnte er
mit der Einbalsamierung beginnen.
Ungefähr eine Stunde später
– er machte gerade die letzten Stiche – entstand ein Tumult
draußen vor der Tür. Laute, wütende Stimmen waren zu
hören, dann flog die Tür auf.
Meehan blickte über die
Schulter. Miller stand in der Tür. Billy versuchte sich an ihm
vorbeizuzwängen.
»Ich versuchte ihn aufzuhalten, Jack.«
»Mach etwas Tee!« befahl
ihm Meehan. »Ich bin durstig. Und schließ die Tür!
Denk doch an die Temperatur hier drin. Wie oft habe ich dir das schon
gesagt!«
Billy zog sich zurück. Die Tür schloß sich leise hinter ihm.
Meehan wandte sich wieder dem
Leichnam zu. Unendlich zart rieb er das Gesicht der toten Frau mit
einer Creme ein, die als Unterlage für das Make-up diente. Miller
ignorierte er restlos.
Miller zündete sich eine Zigarette an. Das Streichholz kratzte über die Reibfläche.
Meehan sagte, ohne sich umzudrehen: »Nicht hier. Hier drinnen zeigen wir ein bißchen Respekt.«
»Wirklich?« höhnte Miller, trat aber die Zigarette auf dem Fußboden aus.
Er näherte
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