Die Mordwespen (Orion 12)
produzierten. Er rannte weiter, taumelnd und keuchend. Jetzt klang das Keuchen wie ein Schluchzen, wie ein würgendes Stöhnen. Er war nie ein Sportler gewesen.
Der Hebel.
Er fegte ein Insekt von seinem Hinterkopf und riß den Hebel hinunter. Die schwere Tür schwang auf, ihm entgegen. Er öffnete sie soweit, wie es nötig war, um sich hineinzuzwängen. Ein dunkler, kubischer Raum nahm ihn auf. Es war kühler, und er schrie laut auf, als sich ein Stachel in die Wange bohrte. Gleichzeitig erreichte seine Hand den Kontakt, der die innere Tür der Lichtschleuse öffnete. Die zweite Wespe stach zu, und er schrie ein zweitesmal. Dann waren sie über ihm. Eine summende Masse, deren nadelfeine Stachel sich in seinen Kopf bohrten. In die Wangen, die Ohren, die Nase und durch die geschlossenen Augen. Er schrie lauter und lauter, und als sein Schreien erstarb, hatte die Menge des Lähmungsgiftes seinen Kreislauf erfüllt und das Herz erreicht. Er bäumte sich unter der Last von fast tausend Chlorion-Wespen auf, zuckte zweimal und starb.
Licht und Hitze fluteten in den riesigen Innenraum des Bunkers.
Die Tiere wurden unruhig und begannen sich zu bewegen. Der Digitalrechner, dessen externe Elemente die Temperaturschwankung maßen und den Lichteinfall registrierten, gab Alarm.
Die Tiere begannen zu gackern und zu kreischen.
Vierzigtausend Hühner. Sie wurden angesteckt, wurden lauter und lauter, und eine Massenpsychose brach unter ihnen aus. Als sich die ersten Schreie der sterbenden Legehennen mit dem wütenden Protestschreien der anderen mischten, wurden die Insekten noch aufgeregter, rasten noch schneller durch die Korridore, die aus Draht und Stahl gebildet wurden. Die Hühner konnten ihre Plätze nicht verlassen; die Tiere schlugen mit den verkümmerten Flügeln, pickten die Eier auf und verletzten sich die Krallen. Die Wespen reagierten sofort, schlüpften im Flug durch die Maschen und stachen auf die wehrlosen Tiere ein.
Der zweite Alarm raste durch die Anlage.
Die Futterbänder blieben stehen, die Transportbänder und die Sortieranlagen für Eier hielten an, die Ventilatoren erhöhten den Durchsatz. Die riesige Hühnerfarm, die einen Ausstoß von Millionen Eiern im Jahr hatte, verwandelte sich binnen fünfzehn Minuten in ein Inferno.
Federn flogen, Insekten summten und stachen, Hühner flatterten panisch hin und her, rannten sich die Schädel ein und verendeten. Die Futternäpfe und die Wasserbehälter füllten sich mit Federn, Exkrementen und Blut. Die Hühner, hochspezialisierte Legetiere, verendeten unter dem Lähmungsgift, unter der eigenen Panik und an den Wunden, die sie sich selbst zufügten.
Fünfzehn Minuten später verließen einige Insekten die Halle durch die offenen Türen.
Die meisten von ihnen waren vom starken Sog der Ventilatoren erfaßt und von den Turbinenschaufeln zerschmettert worden. Sie erstickten unter den toten Hühnern, weil Wasser, Blut und Eiweiß die Tracheen verstopften, mit denen die Insekten Sauerstoff aufnahmen.
Sie gerieten in die Räder der auslaufenden Bänder.
Dann herrschte Stille.
Von den vierzigtausend Hühnern lebten nur noch wenige, und diese waren für den Rest ihres erbärmlichen Lebens unbrauchbar, man würde sie notschlachten müssen. Ebenfalls vollautomatisch. Die Eierproduktion dieses halben Jahres war mit dem heutigen Tag zum Stillstand gekommen.
Dann erst kamen die Männer in den improvisierten Schutzanzügen.
Der Verwalter der Hühnerfarm erlitt einen Herzanfall, der ihn umbrachte. Die Mordwespen hatten zwei weitere Opfer gefunden.
So oder ähnlich spielten sich die Szenen in der ganzen Welt ab. Die Menschheit lernte, da sie unmittelbar dazu gezwungen wurde, sehr schnell. Sie sprach nicht mehr, hüstelte nicht mehr, verließ die Wohnungen und die Arbeitsplätze nur dann, wenn es unumgänglich war und notwendig.
Gespräche fanden nur noch in streng abgeschlossenen Räumen statt.
Ungeheuere Massen von Papier wurden gebraucht, um wenigstens die geringsten Nachrichten weitergeben zu können. Taubstumme hatten, ohne es zu wollen und ohne einen Vorteil darin zu sehen, ihre große Stunde. Sie dienten unter gewissen Voraussetzungen als Partner von präzise geschalteten Sichtverbindungen, die lautlos funktionieren mußten.
Man begann, primitive oder weiterentwickelte Zeichensprachen zu benutzen oder erst zu erfinden.
Maschinen wurden nur noch verwendet, wenn es sicher war, daß der Bedienende dieses ungefährdet tun konnte.
Der Verkauf von Draht florierte.
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