Die Morgengabe
vielen Jahren voll Angst und Scham vor einer
Klasse respektloser Kinder in einem österreichischen Dorf gestanden hatte. «Sie
war dünn wie eine Bohnenstange», hatte das junge Mädchen im Garten gesagt, «und
sie hatte eine große Nase und hat ein bißchen gestottert. Aber für ihn war sie
alles.»
Frances war gerade zwanzig Jahre alt
gewesen, als sie, in dem Glauben, aus freien Stücken erwählt worden zu sein, zu
ihrem Verlobten an der schottischen Grenze gereist war. Sie wußte, daß sie
nicht hübsch war, aber sie meinte, eine gute Figur zu haben, und sie war eine
Somerville – sie glaubte, das zählte. Das Haus war wunderschön, in einem Tal
der Tweedsmuir Hills gelegen. Der junge Mann hatte ihr gefallen; während sie
sich an jenem ersten Abend zum Essen ankleidete, stellte sie sich ihre Zukunft
vor – als Braut, als Ehefrau, als Mutter ...
Es war spät, als sie in ihr Zimmer
zurückkehrte, wo Martha sie erwartete, um ihr beim Auskleiden zu helfen. Sie
hatte wohl die Tür offengelassen, denn sie konnte Stimmen aus dem Korridor
hören.
«Guter Gott, Harry, du willst doch
diesen Ameisenbär nicht im Ernst heiraten?» Eine junge Stimme, hochmütig,
spöttisch. Ein alberner Junge, ein Freund ihres Verlobten, der am Abendessen
teilgenommen hatte.
«Du wirst Hafer an sie verfüttern
müssen – hast du das Gebiß gesehen?» Eine zweite Stimme, noch ein Freund.
«Die reißt dich in Stücke.»
Und dann die Stimme ihres Verlobten,
der in den Spaß einstimmte. «Keine Angst, ich habe mir alles genau überlegt.
Einmal im Monat besuche ich sie in ihrem Zimmer, in meiner Fechtausrüstung,
das ist Polsterung genug. Und sobald sie schwanger ist, verschwinde ich in die
Stadt und suche mir was Schnuckeliges.»
Martha war es, die die Tür schloß.
Sie half ihr ins Bett und hielt den Mund, als Frances am folgenden Morgen ohne
ein Wort abreiste. Sie hielt auch den Mund, als Frances schweigend den Zorn
ihrer Familie und die Empörung der anderen Familie über sich ergehen ließ. Das
war nun vierzig Jahre her, und seitdem war nichts geschehen. Keine Tür hatte
sich für Frances Somerville geöffnet. Kein schwarzgekleideter kleiner Mann war
erschienen, um sie zu erlösen.
Irritiert und innerlich aufgewühlt,
wandte sich Frances vom Fenster ab, und in diesem Moment kam Martha mit der
abendlichen heißen Schokolade herein – hinter ihr das häßliche kleine
Hündchen.
«Was hat das denn zu bedeuten?» rief
sie, froh, etwas gefunden zu haben, worüber sie ärgerlich sein konnte. «Ich
dachte, du wolltest ihn nach dem Tee ins Black Bull hinunterbringen.»
«Mrs. Harper hat ausrichten lassen,
daß sie ihn nicht nehmen kann», erklärte Martha. «Ihre Schwiegermutter zieht
jetzt für immer zu ihnen, und sie kann Hunde nicht ausstehen.» Sie sah zu dem
Hündchen hinunter, das sich zu Frances' Füßen auf den Rücken geworfen hatte.
«Er möchte gestreichelt werden.»
«Das sehe ich», sagte Frances und
hob es hoch. Nichts hatte sich geändert, weder an der Häßlichkeit des Hündchens
noch an seiner tiefen Überzeugung, von Herzen geliebt zu werden.
So weit war es also schon gekommen,
dachte sie. Vor zwanzig Jahren hätte sich die Frau eines Gastwirts geehrt
gefühlt, wenn die Herrschaft aus dem großen Haus ihr einen Hund geschenkt
hätte. Ganz gleich, was für einen. Er paßte genau ins Bild, dieser häßliche
kleine Mischling ... er paßte zu jüdischen Kellnerinnen, die beim Anblick von
Herbstzeitlosen in Tränen ausbrachen; zu Stallknechten, die Opernarien
schmetterten; zu Wagners Stieftochter mit den ungleichen Augen. Comely schlief
immer in ihrem Zwinger; es wäre ihr nicht eingefallen, nach oben zu laufen.
«Ich bringe ihn hinunter», sagte
Martha und streckte die Arme nach dem Hündchen aus.
«Ach, laß ihn noch ein bißchen
hier», entgegnete Frances müde. Mit dem Hündchen im Arm setzte sie sich in den
Sessel neben ihrem Bett.
«Ich bin gekommen, um Sie zu holen»,
hatte der kleine Mann gesagt. Dann hatte er seinen Hut gelüftet und seine
Aktentasche geöffnet ...
Die Fahrt zu den Farne-Inseln begann so gut. Das Wetter war in
den letzten zwei Tagen unbeständig gewesen, doch jetzt schien die Sonne wieder,
und als die Peggoty aus dem Hafen tuckerte, verspürten alle diese
Aufwallung freudiger Zuversicht, die jeden erfaßt, der an einem klaren Tag auf
blauem Meer Kurs auf eine Insel nimmt.
Auch das
Hündchen verspürte sie, das war deutlich zu sehen. Die Zurückweisung durch die
Wirtsleute hatte kein Trauma
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