Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Morgengabe

Die Morgengabe

Titel: Die Morgengabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Ibbotson
Vom Netzwerk:
Symbol und Herzstück der Stadt.
    «Ich würde gern eine Kerze
anzünden», sagte Ruth, und er ließ sie allein durch das dämmrige, nach
Weihrauch duftende Schiff zum Altar gehen. Während er draußen vor dem Portal
wartete, sah er, wie auf der anderen Seite des Platzes zwei verängstigte
hellhaarige junge Burschen mit breiten Bauerngesichtern von einer Gruppe
Soldaten zu einem Militär-Lkw geschleift wurden.
    «Sie treiben jetzt die ganzen Sozis
zusammen», sagte eine rundliche Frau mittleren Alters mit einer Feder im Hut.
In ihrer Stimme war kein Tadel; in dem runden, blassen Gesicht zeigte sich
keine Gefühlsregung.
    Als er in die Kirche trat, um Ruth
zu holen und sie durch eine Seitentür hinauszuführen, sah er, daß sie nicht
eine Kerze, sondern deren zwei angezündet hatte. Unnötig zu fragen, für wen –
bei diesem Mädchen führten alle Wege zu Heini.
    «Was glauben Sie, werde ich je hierher
zurückkommen?»
    Quin antwortete nicht. Ob Ruth in
diese zum Tode verurteilte Stadt zurückkehren würde, konnte er nicht sagen;
aber für ihn war klar, daß er und andere
seinesgleichen hierher kommen würden, denn es gab kein anderes Mittel, diesem
Unheil Einhalt zu gebieten, als den Krieg.

7
    Heini war seit zehn Tagen in Budapest. Es war schön,
wieder zu Hause zu sein; den Corso am Fluß entlangzuspazieren und zur Burg auf
dem Burgberg hinaufzuschauen; die Schiffe auf ihrer Fahrt zum Schwarzen Meer
vorbeigleiten zu sehen, wieder das feurige Gulasch zu schmecken, von dem die
Wiener sich nur einbildeten, sie könnten es auch kochen. Hier waren eine
Spritzigkeit, ein Esprit zu Hause, die in der österreichischen Hauptstadt
fehlten, und die Frauen waren schöner als sonstwo auf der Welt. Für Heini
allerdings waren sie keine Verlockung – er fand es nur allzu leicht, Ruth treu
zu bleiben; außerdem war man besser vorsichtig, wenn man sich keine Krankheit
holen wollte.
    Sein Vater lebte noch in der gelben
Villa auf dem Rosenhügel; die Apfelbäume im Garten standen in voller Blüte; sie
nahmen ihre Mahlzeiten auf der Veranda ein, von der man auf das Grabmal des
Pascha hinunterblickte und über die bewaldeten Hänge hinweg zum gotischen
Filigran der Parlamentsgebäude und zu den Giebeln und Dächern von Pest.
    Heini mochte seine Stiefmutter
nicht; es fehlte ihr an Seele, aber er war froh, daß jemand da war, sich um
seinen Vater zu kümmern, der noch immer bei der einzigen liberalen deutschen
Zeitung der Stadt arbeitete.
    Es machte keine besonderen
Schwierigkeiten, ein Visum für Großbritannien zu bekommen. Ungarn war noch
unabhängig, und es gab keinen allgemeinen Run, das Land zu verlassen; das
Kontingent war noch nicht voll. Zwar würde es etwas länger dauern als erwartet
– einige Wochen –, aber es gab keinerlei Anlaß zur Beunruhigung.
    Am erfreulichsten fand es Heini nach
seiner Rückkehr, daß es seinem alten Klavierprofessor gelang, ein Konzert für
ihn zu arrangieren.
    «Ich hätte gern einen wirklich
großartigen Auftritt für Sie organisiert», sagte Professor Sandor und erwähnte
den Vigado, den berühmten Konzertsaal, in dem Rubinstein gespielt und Brahms
dirigiert hatte, «aber dazu war die Zeit zu kurz – und wer weiß, wenn Sie hier
in der Musikhochschule spielen, kommt vielleicht Bartok, und das könnte für Sie
eine große Chance sein.»
    Heini war angemessen dankbar. Er
erinnerte sich des alten Hauses mit Wärme. Schon Liszt hatte hier gelehrt, und
nun konnte sich die Hochschule mit Bartok, Kodäly und Dohnányi eines
Musikerdreigespanns rühmen, auf das jede Musikhochschule der Welt stolz gewesen
wäre. Er sollte im großen Saal ein Solokonzert geben und die Hälfte der
Einnahmen bekommen. Professor Sandor war wirklich die Hilfsbereitschaft und die
Generosität in Person.
    Aber die Sache hatte einen Haken.
Das Konzertkomitee hatte zur Auflage gemacht, daß Heini die Sonate in sein
Programm aufnahm, die die Meisterklasse des Klavierlehrgangs in diesem Jahr
studierte: Beethovens schwieriges und schönes Opus 99. Heini hatte nichts
dagegen einzuwenden. Er würde die Sonate allerdings vom Blatt spielen müssen –
und das hieß, daß er jemanden brauchte, der ihm die Noten umblätterte.
    Ja, und da kam nun gewissermaßen
Sand ins Getriebe. Professor Sandor hatte nämlich eine Tochter, ebenfalls
Studentin an der Hochschule, die er Heini als Hilfe empfahl.
    «Sie werden sehen, daß man gut mit
ihr zusammenarbeiten kann», hatte der Professor versprochen. Mali kam also zu
Heinis erster Probe wie

Weitere Kostenlose Bücher