Die Mütter-Mafia
Preis. Zweihundertvierzig Quadratmeter Wohnfläche, alles Granitböden, Sauna, Whirlpool, Einbauschränke ...«
Nelly sah aus, als ob sie gleich platzen würde.
»Ja, dann auf gute Nachbarschaft«, sagte ich zu Jan und ließ ihn einfach stehen, obwohl er noch mitten in der Beschreibung seines Eigenheims steckte.
»Wer war denn der Angeber?«, fragte Nelly verächtlich.
»Wir haben mal zusammen in einer WG gewohnt«, sagte ich. Mehr wollte ich dem empfindlichen Kind nicht zumuten. Sie hielt im Augenblick sowieso nicht viel von mir. »Stell dir mal vor: Dem gehört der hässliche Betonklotz im Hornissenweg, du weißt schon, der, der aussieht wie ein Aquarium. Angeblich hat der Architekt da einen Preis für bekommen. Dass ich nicht lache!«
Kaum zu fassen: Fünfzehn Jahre lang hatte ich Jan Kröllmann nicht gesehen, und ausgerechnet an meinem ersten Tag als allein stehende Frau musste ich ihn wieder treffen. Frisch getrennt, pleite, ohne Make-up und mit ungewaschenen Haaren. So ein schlechtes Timing! Im nächsten Schaufenster betrachtete ich mich verstohlen von der Seite. Na ja, so schlimm war es gar nicht. Jan war schließlich derjenige von uns, der seine Haare verloren und mindestens zwanzig Kilo zugelegt hatte. Ich trug zwar kein Make-up, aber selbst in ungewaschenem Zustand war meine Frisur der von damals haushoch überlegen. Überhaupt: Verglichen mit damals hatte ich mich zumindest optisch deutlich verbessert. Im Gegensatz zu Jan.
Dafür verdiente er mehr als ich. Allerdings war das nicht besondersschwer: Jeder Friseurlehrling verdiente mehr als ich, denn ich hatte ja überhaupt keinen Job. Ich hatte nicht mal einen Beruf Es gab überhaupt eine Menge Dinge, die ich nicht hatte.
*
Zu Hause versuchte ich sofort noch einmal, Trudi zu erreichen, die einzige Person, die mir in dieser Situation seelischen Beistand leisten konnte. Aber Trudis Stimme auf dem Anrufbeantworter verkündete unverändert, dass Trudi am Gardasee weilte. Eine sehr frohe Botschaft für etwaige Einbrecher, aber nicht für mich.
Ich fühlte mich sehr allein. Aber dann atmete ich tief durch und versuchte mir vorzustellen, was Trudi mir raten würde, wenn sie hier wäre. Als Erstes würde sie mein Gejammer unterbrechen. »Denk nicht ständig über das nach, was du nicht hast, sondern freu dich lieber an dem, was du hast«, würde sie sagen. Das sagte sie immer, wenn ich über irgendetwas jammerte.
Also gut. Was hatte ich, über das ich mich freuen konnte?
Zuerst einmal: Ich hatte zwei gesunde Kinder. So gesund, dass sie sich gerade hungrig über unsere Lebensmittelvorräte hermachten, so hungrig, dass wir morgen schon wieder würden einkaufen müssen. Und von welchem Geld bitte??? Aber die imaginäre Trudi ließ solche negativen Gedanken nicht zu. Zwei gesunde Kinder, wiederholte sie. Das ist doch schon mal sehr gut. Und weiter?
Ein Dach über dem Kopf Ich holte Luft, um das Dach über dem Kopf näher zu beschreiben, aber die imaginäre Trudi unterbrach mich: Nein! Kein Wort über das Mahagoni! Hauptsache, ihr wohnt sicher und warm. Weiter! Wofür darfst du sonst noch dankbar sein?
Ich habe zwei gesunde Hände, die zupacken können, wenn es sein muss, sagte ich kläglich.
Sonst fiel mir nichts mehr ein. Aber das war ja auch mehr als genug, worüber ich dankbar und froh sein konnte. Ich ließ mich in Omi Wilmas braune Couch sinken und fing an zu heulen, so dankbar und froh war ich.
Gerade als ich darüber nachdachte, mir mit Omi Wilmas Himbeergeist - ich wusste von unseren diversen Sonntagsbesuchen hier, dass sie hinter den Büchern der Schrankwand geheime Himbeergeistnester angelegt hatte, die Gute - einen kleinen Rausch anzutrinken, klingelte es an der Haustür. Omi Wilmas Klingel hatte diesen Namen eigentlich gar nicht verdient. Sie gab nur ein unangenehmes schnarrendes Geräusch von sich, ein unwirsches, unmelodisches »Krrrrrrrk«, das einem eine Gänsehaut über den Rücken jagte.
Die Kinder erschienen in der Esszimmertür.
»Was war das?«, fragte Julius, den Mund voller Nutellabrot.
»Die Klingel, du Dummer«, sagte Nelly, ebenfalls voller Nutella.
»So klingelt nur der Gerichtsvollzieher«, murmelte ich und wischte mir die Tränen von der Wange.
»Vielleicht ist es ja Papi«, sagte Nelly und lief in den Flur hinaus.
»Warum weinst du, Mami?«, fragte Julius. »Weil ich Omi Wilmas Schrankwand so hässlich finde«, sagte ich.
»Ach so«, sagte Julius.
»Mamiii! Es sind unsere neuen Nachbarn«, rief Nelly vom
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