Die Mütter-Mafia
eine Tochter«, sagte ich.
»Wirklich? Wie alt?«
»Sie wird nächste Woche vierzehn«, sagte ich.
»Meine Laura-Kristin ist auch vierzehn«, sagte Frauke. »Ein schreckliches Alter, oder?«
»Hm«, machte ich. Heute Morgen hatten Nelly und ich eine schreckliche Auseinandersetzung gehabt, weil ich sie nicht mit einem bauchfreien T-Shirt und nichts darüber aus dem Haus hatte gehen lassen.
»Mensch, Mamiiii«, hatte Nelly gekreischt. »Alle in unserer Klasse haben bauchfreie Sachen an, alle «
»Aber doch nicht bei gerade mal acht Grad plus«, hatte ich erwidert. »Zieh deine Strickjacke drüber.«
Aber Nelly hatte sich geweigert. Sie hatte einen Kreischanfall bekommen, in dessen Verlauf sie mich als altmodisch, hinterm Mond, peinlich und vor allem unheimlich ungerecht bezeichnet hatte. Zum Schluss war sie in ihr Zimmer gerannt, hatte das T-Shirt aus- und ein Sweatshirt mit Pferdeapplikation angezogen. Das Sweatshirt boykottierte sie eigentlich seit ihrem dreizehnten Geburtstag, weil es ihr zu kleinmädchenhaft war. Mit den Worten »Ich hasse dich, weil du mich zwingst, so was anzuziehen« war sie dann aus der Tür gerauscht.
Ich verstand dieses Kind nicht. Warum hatte sie es nicht einfach gemacht wie ich früher? Stillschweigend die Strickjacke drübergezogen und in der Schule wieder ausgezogen? Ich hatte es allerdings nicht mit Strickjacken gemacht (als ich vierzehn war, trug man keine aufreizenden Klamotten, sondern Blusen mit Schulterpolstern), sondern mit meiner Brille. Ich fand mich einfach schöner ohne Brille, und diese verschwommene Art und Weise, die Umwelt zu betrachten, hatte durchaus etwas für sich gehabt.
»Pubertierende Mädchen sind eine echte Prüfung«, sagte Frauke. »Isst deine Tochter auch so viel?«
Ich nickte. Von dem, was Nelly an einem Abend verputzte, lebten andere Frauen ein ganzes Jahr.
»Ich koche im Augenblick Brigitte-Diät für Laura-Kristin«, sagte Frauke. »Aber wenn sie ihr ganzes Taschengeld für Schokoriegel ausgibt, hilft das leider auch nicht viel.«
Da hatte ich noch Glück. Nellys Stoffwechsel verbrauchte offenbar die ganzen Kalorien, denn das Kind war rappeldürr.
In der Garderobe trafen wir auf den Jaguarmann. An seinem Hals hing ein Kind und klammerte sich ganz fest an seine Krawatte. Es war das kleine asiatische Mädchen, das neulich von der Mercedes-Tucke abgeholt worden war.
»Du sollst noch nicht gehen, Papa«, jammerte es.
»Papa muss doch zur Arbeit, Spätzchen«, sagte der Jaguarmann. »Aber heute Abend spielen wir beide was zusammen, ja? Du darfst dir ein Spiel aussuchen.«
»Auch Barbie?«, fragte das Mädchen.
»Ja. Wenn ich die Schneewittchenbarbie haben darf« Über den Kinderkopf hinweg lächelte der Jaguarmann mir zu. Ich beeilte mich, meinen Mund zuzuklappen und so zu tun, als fände ich das alles nicht weiter bemerkenswert.
Das kleine Mädchen hatte die Krawatte losgelassen und sich auf den Boden absetzen lassen. »Okay, du bekommst die Schneewittchenbarbie und ich die Nussknackerbarbie«, sagte es und hüpfte fröhlich in den Gruppenraum.
»Vafitteß Aßloß«, sagte Marlon.
»Selber verficktes Arschloch«, sagte Flavia.
»Fräuleinchen!«, sagte Frauke. »Überspann den Bogen nicht. Sonst kannst du in den nächsten drei Tagen zu Oma und Opa gehen.«
»Bei denen gibt es nämlich keinen Fernseher«, setzte sie zu mir gewandt hinzu.
Ich hörte nicht richtig hin, weil ich damit beschäftigt war, denJaguarmann anzulächeln. Er hatte mich schließlich zuerst angelächelt.
Leider wandte er sich zum Gehen. »Wiedersehen«, sagte er immerhin. Ich hatte den Eindruck, als ob er es ausschließlich zu mir sagen würde.
»Wiedersehen«, sagte ich. Aus irgendeinem Grund platzte ich beinahe vor Neugierde. Wie kam dieser Mann zu einem asiatischen Kind? Und was hatte er mit der Mercedes-Schrulle zu tun? Am liebsten wäre ich ihm hinterhergelaufen, um ihn das zu fragen. Während ich Julius aus den Schuhen half und Marlon sich wieder von Garderobenhaken zu Garderobenhaken hangelte, kam eine weitere Mutter in die Garderobe. Frauke und sie begrüßten einander mit Wangenküsschen, rechts, links, rechts. Die Neue hatte ein Mädchen im Schlepptau, das die gleichen Zahnlücken aufwies wie Flavia.
Die beiden Frauen zogen sich in die hinterste Ecke der Garderobe zurück, wo sie mit gedämpfter Stimme über einen gewissen Jeremias sprachen und dessen göttliche Hände. Ein Masseur? Oder der Ehemann der anderen Mutter? Ich hätte gern mehr gehört, aber die
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