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Die Mütze

Die Mütze

Titel: Die Mütze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wladimir Woinowitsch
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Grundriß von Gebäuden aus, in der Straßenführung und in den Naturerscheinungen. Wenn er in Zeitungen oder Zeitschriften blätterte, stolperte er über die vielen scheinbar absichtslos verstreuten sechsstrahligen Sternchen, und wenn er das Papier gegen das Licht hielt, glaubte er darin versteckte Wasserzeichen oder sprachliche Sabotage zu entdecken. Auf der einen Seite stand zum Beispiel »Ein Fest des russischen Liedes« und auf der anderen ein Artikel zur internationalen Lage: »Wir werden es niemals zulassen«. Zusammen ergab das »Wir werden niemals ein Fest des russischen Liedes zulassen«. Indem Wasjka dies den zuständigen Stellen meldete, wußte er sehr wohl, wie riskant der Weg war, auf dem er sich bewegte und ahnte, daß die Zionisten, die ihn um jeden Preis beseitigen wollten, geruchloses Gas und unsichtbare Strahlen einsetzten, wodurch seine Frau an Krebs erkrankt war und er an Kopfschmerzen und vorzeitiger Impotenz litt. Er ergriff Vorsichtsmaßnahmen, schnupperte an seinem Essen, kochte das Wasser ab und trug in seiner langen Unterhose Bleifolie, um die Genitalien vor Strahlen zu schützen. Erst kürzlich hatte er dem Zentralkomitee, dem KGB und dem Schriftstellerverband das rätselhafte Verschwinden seiner Katze gemeldet, die von den Zionisten entweder gestohlen oder vergiftet worden sein mußte. Eine Antwort darauf blieb aus.
    Die Wohnungstür stand offen, und Fischkin überraschte Efim vor dem Spiegel, im Pelzmantel und mit über dem Kopf erhobenen Armen. In der rechten Hand hielt er eine Jeansmütze, in der linken die Mütze aus Wolfsfell.
    »Efim«, fragte der Nachbar erstaunt, »fehlt Ihnen etwas? Haben Sie vielleicht das Gefühl, Sie hätten zwei Köpfe?«
    Die Neugierde des Märchenerzählers konnte auf der Stelle befriedigt werden. Efim erzählte ihm von seiner Absicht und gestand, daß er nicht wußte, was er tun sollte: In der Schirmmütze sah er wenig respektabel aus und könnte deshalb abgewiesen werden, aber wenn er mit der Pelzmütze erschien, könnten sie seinen Antrag ablehnen, da er bereits eine Mütze besitze.
    »Die Menschen haben wahrhaftig den Verstand verloren«, meinte Fischkin und schüttelte den Kopf. »Mir haben schon mindestens zwanzig davon erzählt. Alle regen sich auf und belagern das Kombinat. Hören Sie auf meinen Rat: Gehen Sie ganz ohne Mütze. In Ihrem Pelz sehen Sie sehr respektabel aus. Keiner wird auf den Gedanken kommen, Sie besäßen keine Mütze. Aber keiner würde es wagen, Ihnen ins Gesicht zu sagen, Sie brauchten keine. Übrigens«, setzte er nach einigem Nachdenken hinzu, »Sie werden sowieso keine bekommen, höchstens etwas ganz Schäbiges.«
    »Warum eigentlich nicht? Wieso werden Sie eine Mütze bekommen und ich nicht?« fragte Efim gereizt.
    »Aber ich bitte Sie, Efim, sie werden gerecht sein: Sie werden Ihnen keine geben und mir auch keine. Und wissen Sie, warum? Weil wir beide für sie häßliche Entlein sind. Mir ist übrigens zu diesem Thema ein neues Märchen eingefallen. Wollen Sie es hören?«
    Natürlich wollte Efim es nicht hören (wer will schon gern fremde Märchen hören!), aber er mochte den alten Mann nicht vor den Kopf stoßen.
    »Also los, machen Sie schnell, denn sonst komme ich zu spät.«
    »Ich bin ganz sicher, daß es Ihnen gefällt«, versprach Fischkin. »Das Märchen heißt Die Heimkehr des häßlichen Entleins. Fabelhaft, nicht wahr?«
    »Es geht«, sagte Efim, »ein wirklich guter Titel besteht immer nur aus einem Wort.«
    »Meinetwegen.« Fischkin ging sofort darauf ein. »Meinetwegen nennen wir das Märchen Heimkehr. Also, hören Sie zu. Das Häßliche Entlein, mißhandelt von seinen Geschwistern, flog auf einen kleinen, einsamen See und wurde dort ein echter Schöner Schwan. Als es dessen inne wurde, freute es sich und wollte in seine Heimat zurück, um seiner Familie zu zeigen, daß es vielleicht nicht das Schönste, aber auch nicht das Häßlichste sei. Es war sogar bereit, ihnen allen in der Vergangenheit erlittenen Unbill großmütig zu verzeihen. Sie aber begegneten ihm noch feindlicher als zuvor. Es war nämlich an dem, daß sie sich selbst während seiner Anwesenheit zu Schwänen erklärt hatten. Nun bildeten sie eine Hierarchie, mit einem Erpel als schönstem Schwan an der Spitze, einem Erpel, der sich einbildete, er sei groß, während er in Wirklichkeit einfach fett war, mit zwei >Stolzen Schwänen, vier >Prächtigen< und sechzehn blitzschnellen. >Und die anderen ?< fragte der Ankömmling. Er wurde belehrt, die

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