Die Mütze
anderen seien einfach >Schwäne<.«
»Denken Sie an den Schriftstellerverband?« unterbrach ihn Efim.
»Was hat das denn mit Ihrem schäbigen Verband zu tun«, Fischkin war so entrüstet, als gehörte er gar nicht dazu. »Das ist der Mensch im allgemeinen. Hören Sie weiter. Nachdem der Schöne Schwan diese Antwort gehört hatte, sagte er: >Gut. Ich stelle keinerlei Ansprüche. Ich möchte so sein wie alle anderen. Also ein einfacher Schwan. < Da gerieten die Enten in Aufregung, die einen lachten, die anderen wurden zornig. >Hat man je<, schnatterten sie, >eine solche Dreistigkeit erlebt ? Wir haben uns das ganze Leben lang damit abgeplagt, Schwäne zu werden, und nun kommt einer dahergelaufen und beansprucht den Titel einfach so.< Andere Enten meinten, er sei übergeschnappt und größenwahnsinnig. Nun, nach langen Beratungen bekam das Mitleid die Oberhand, immerhin war es eine einzige Sippe, Wasservögel, und sie wiesen ihm die Stelle des Häßlichen Entleins zu.«
»Auf Bewährung!« ergänzte Efim amüsiert.
»Genau«, lächelte Fischkin.
»Und er war damit einverstanden ?«
»Soweit bin ich noch nicht. Vielleicht nahm er sie doch nicht an. Vielleicht kehrte er beleidigt in seinen See zurück und schwimmt nun dort, betrachtet sein Spiegelbild und sagt, aber nicht sonderlich überzeugt, zu sich selbst: >Doch, ich glaube trotz allem, daß ich einem Schwan ähnlicher bin als sie.<«
»Und sprechen die Enten auch über ihn ?«
»Das ist es ja gerade, sie sprechen überhaupt nicht über ihn. Sie möchten ihn vergessen und tun so, als gäbe es ihn überhaupt nicht. Denn wenn sie daran denken, daß es ihn gibt, dann dürften sie sich nicht Schwäne nennen, sondern irgendwie anders.«
Nachdem Fischkin auch noch von Trjoschkins verschwundener Katze erzählt hatte, steckte er zwei Zigaretten ein (eine für später) und schlurfte die Treppe hinunter. Bald darauf erschien Efim im Treppenhaus, im Halbpelz und rotem Schal, aber barhäuptig, die pralle, schwere Aktentasche in der Hand. Er drückte auf den Knopf, und während er auf den Aufzug wartete, dachte er an das soeben gehörte Märchen und fühlte sich als der verkannte Schöne Schwan.
Der klappernde und knirschende Aufzug war da. Aber nach zwei Stockwerken fiel Efim ein, daß er die Quittung der Wäscherei vergessen hatte. Das verdroß ihn, denn, abergläubisch wie er war, fürchtete er, etwas zu vergessen und auf halbem Wege umzukehren bringe Mißerfolg. Er hielt den Aufzug an und fuhr wieder hinauf. In der Wohnung steckte er die Quittung ein, warf, bevor er aus der Tür ging, einen Blick in den Spiegel - im Spiegel sah er nicht den Schönen Schwan, sondern einen nicht mehr ganz jungen Melancholiker jüdischen Aussehens, zu allem Überfluß auch noch zahnlos - und er bemerkte, daß er auch die Prothese vergessen hatte. Während er die Prothese einsetzte und mit den Zähnen vor dem Spiegel mehrere
Male klapperte, war der Lift wieder fort, und er beschloß, zu Fuß hinunterzugehen.
Als er an Trjoschkins Wohnung vorbeiging, öffnete sich die mit braunem Kunstleder beschlagene Tür einen Spalt breit, und dahinter zeigte sich ein Profil mit einem mißtrauisch funkelnden Auge. »Wohin geht der wohl ? Und warum hat er keine Mütze auf?« überlegte Trjoschkin. Obwohl Efim sicher war, daß sein Gruß unbeantwortet bleiben würde, wollte er seinen Nachbarn grüßen. Er sagte: »Tag«, und hob die Hand, um mit den Fingern die Mütze zu berühren, spürte aber nur die kahle Stirn, zog sich darauf förmlich in sich zusammen und lächelte dem Dichter verlegen zu. Dieser reagierte erwartungsgemäß weder auf das Lächeln noch auf den Gruß, das Gesicht hinter dem Spalt verschwand, und die Tür fiel krachend ins Schloß. Trjoschkin begab sich schnurstracks in sein Arbeitszimmer und trug in ein Heft mit Wachstucheinband folgendes ein: »Heute, 11.45, ging der Zionist Rachlin mit einer dicken Aktentasche und ohne Mütze die Treppe hinunter (trotz funktionierenden Aufzugs!!!).«
Gewöhnlich saß die Pförtnerin mit ihrem Strickzeug neben dem Haustelefon, aber jetzt war ihr Platz leer.
Efim begegnete ihr auf dem Hof. Sie war sehr aufgeregt.
»Diese Unverschämtheit!« schrie sie so laut, daß man sie auf dem ganzen Hof hören konnte, obwohl kein Mensch in der Nähe war. »Diese Schweine! Wo bleibt bloß die Miliz ?«
»Warwara Grigorjewna, was ist denn passiert?« fragte Efim neugierig.
»Ist doch klar, was passiert ist. Zum Verrücktwerden! Dieser Gestank! Immer diese
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