Die Mumie
zu dem großen rechteckigen Stein, auf den sie jetzt deutete. Sie sagte etwas von einem Altar.
Nein, kein Altar. Ein Bett. Ein Bett, wo er dreihundert Jahre gelegen hatte, bis die Luke über ihm geöffnet worden war. Die uralten Ketten hatten die dichte Klappe aus Holz hochgezo-gen, und die Sonne hatte hereingeschienen und war auf seine Lider gefallen.
Er hörte Kleopatras mädchenhafte Stimme:
»Bei den Göttern, es ist wahr! Er lebt!« Ihr Schrei hallte von den Wänden wider. Die Sonne schien auf ihn.
»Ramses, steh auf!« rief sie. »Eine Königin von Ägypten ruft dich.«
Er hatte das Kribbeln in den Gliedern gespürt, das plötzliche Ziehen in Haaren und Haut. Noch halb schlafend hatte er sich aufgerichtet und die junge Frau vor sich gesehen, deren lockiges schwarzes Haar offen über ihre Schulter fiel. Und den alten Priester, der schlotternd und murmelnd die Hände zum Gebet gefaltet hatte und sich vor ihm verneigte.
»Ramses der Große«, hatte sie gesagt. »Eine Königin von Ägypten braucht deinen Rat.«
Sanfte, staubige Sonnenstrahlen fielen in die große Kammer.
Und das Dröhnen der Automobile auf den Boulevards der modernen Stadt Alexandria drangen ebenfalls herein.
»Ramses!«
Er drehte sich um. Julie Stratford sah zu ihm auf.
»Meine Schöne«, flüsterte er. Er nahm sie zärtlich in die Arme.
Keine Leidenschaft, sondern Liebe. Ja, Liebe. »Meine wunderschöne Julie«, flüsterte er.
Er nahm den Tee in der Halle ein. Das ganze Ritual brachte ihn zum Lachen. Wie konnte man Gebäck, Eier und Gurken-sandwiches essen und das Ganze nicht eine Mahlzeit nennen? Aber warum sollte er sich beschweren? Er konnte dreimal soviel essen wie alle anderen und trotzdem am Abend wieder hungrig sein.
Er genoß die Zeit, die er mit ihr allein verbringen konnte. Er freute sich, daß Alex und Samir und Elliott nicht zugegen waren.
Er saß da und bewunderte die vorbeirauschenden breitkrempi-gen Hüte und Stockschirme. Und die großen, glänzenden offenen Automobile, die ebenso zum Seiteneingang fuhren wie die offenen Lederdroschken.
Dies waren nicht mehr die Menschen seiner Zeit. Dies war eine andere Rasse. Sie erklärte ihm, daß es in Griechenland genauso war. So viele Länder, die er noch besuchen wollte!
Empfand er Erleichterung?
»Du warst so geduldig mit mir«, sagte er lächelnd. »Du verlangst nicht von mir, daß ich etwas erkläre.«
Sie sah wunderbar aus in ihrem hellen Seidenkleid mit dem Blumenmuster und den Spitzen an den Handgelenken. Und diese winzigen Perlmuttknöpfe, die ihm so gut gefielen. Gott sei Dank hatte sie seit dem ersten Abend auf See kein offenes Kleid mehr getragen. Der Anblick von soviel Haut hatte ihn beinahe um den Verstand gebracht.
»Du wirst mir alles sagen, wenn du es mir sagen willst«, entgegnete sie. »Das Einzige, was ich nicht ertragen kann, ist, dich leiden zu sehen.«
»Es ist alles, wie du gesagt hast«, murmelte er. Er trank den Tee, ein Getränk, das er nicht besonders mochte. »Alles verschwunden. Das Mausoleum, die Bibliothek, der Leuchtturm.
Alles, was Alexander gebaut hat, was Kleopatra gebaut hat.
Sag mir, warum stehen die Pyramiden von Gizeh noch? Warum steht mein Tempel in Luxor noch?«
»Möchtest du sie sehen?« Sie streckte den Arm aus und ergriff seine Hand. »Bist du bereit, schon jetzt aufzubrechen?«
»Ja, es wird Zeit, meinst du nicht auch? Und dann, wenn wir alles gesehen haben, können wir dieses Land verlassen. Du und ich… Das heißt, wenn du bei mir bleiben willst.«
So hübsche braune Augen, die von langen braunen Wimpern umrandet wurden, und ihr liebreizender Mund. In diesem Augenblick entstieg der Earl zusammen mit seinem charmanten kohlköpfigen Sohn und Samir dem Lift.
»Ich folge dir bis ans Ende der Welt«, flüsterte sie.
Er hielt ihrem Blick lange Zeit stand. Wußte sie, was sie da sagte? Nein. Die Frage war, wußte er, was sie da sagte? Daß sie ihn liebte, ja. Aber die andere, die andere große Frage war nie gestellt worden, oder?
Fast den ganzen Nachmittag waren sie schon auf dem Nil unterwegs. Die Sonne brannte auf die gestreiften Baldachine des kleinen, eleganten Dampfers herunter. Das glückliche Zusammentreffen von Julies Geldbörse und Elliotts befehlsgewohnter Stimme hatte ihnen jeden nur erdenklichen Luxus verschafft. Die Kabinen des kleinen Bootes waren so schön wie die an Bord des Ozeanriesen von P & O, der sie übers Meer gebracht hatte. Salon und Speisesaal waren mehr als luxuriös ausgestattet. Der Koch
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