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Die Mumie

Die Mumie

Titel: Die Mumie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Eimer am Seil.

    »Schmeckt genau gleich«, hatte sie mit verspieltem Lächeln erklärt.
    Er erinnerte sich ganz deutlich an den Eimer, der ins kühle Wasser hinuntergelassen wurde. An das Geräusch, das die Steinmauern heraufhallte, an das Hämmern von den Docks und an die schmale Straße zu seiner Rechten, die den Blick auf Schiffsmasten freigab, an einen Wald ohne Laub.
    »Was verlangst du von mir, Ramses?« hatte sie gefragt.
    »Daß du Ägypten eine gute und weise Königin bist. Das habe ich dir bereits gesagt.«
    »Du möchtest mehr als das. Du bereitest mich auf etwas viel Wichtigeres vor.«
    »Nein«, hatte er gesagt, aber das war eine Lüge gewesen, die erste Lüge, die er ihr gegenüber ausgesprochen hatte. Der Schmerz in ihm war fast unerträglich gewesen. Ich bin einsam, meine Geliebte. Ich bin einsamer, als es ein Sterblicher ertragen kann. Aber das sagte er ihr nicht. Er stand nur da und wußte, daß er, der unsterbliche Mann, nicht ohne sie leben konnte.
    Was war danach geschehen? Eine weitere Liebesnacht, während derer das Meer sich langsam verfärbte, bis es schließlich schwarz unter dem runden Vollmond lag. Und um sie herum vergoldete Möbel, Hängelampen und der Duft von wohlrie-chenden Ölen und irgendwo, in einem Alkoven, ein junger Knabe, der die Harfe spielte und ein trauriges altes ägyptisches Lied sang, der dem Jungen selbst nichts sagte, den Ramses aber genau verstand.
    Erinnerungen über Erinnerungen. Sein Palast in Thebes, als er noch ein Sterblicher war und Angst vor dem Tod, Angst vor der Demütigung hatte. Als er allein einen Harem mit einhundert Frauen besessen hatte, der ihm irgendwie eine Last war.
    »Hast du viele Liebhaber gehabt, seit ich weggegangen bin?«
    hatte er Kleopatra gefragt.
    »Ja, viele Männer«, hatte sie mit tiefer Stimme geantwortet.
    »Aber keiner war ein Liebhaber.«
    Die Liebhaber sollten noch kommen: Julius Cäsar sollte kommen und dann derjenige, der sie von allem abbrachte, was er, Ramses, sie gelehrt hatte. »Für Ägypten«, weinte sie. Aber es war nicht für Ägypten. Ägypten war damals Kleopatra. Und Kleopatra lebte für Antonius.
    Es wurde hell. Der Nebel über dem Meer hatte sich gelichtet, jetzt konnte er die funkelnde Oberfläche des dunkelblauen Wassers sehen. Hoch über ihm kam die fahle Sonne durch die Wolken. Und er spürte augenblicklich, wie ihn neue Kraft durchströmte.
    Seine Zigarre war schon lange ausgegangen. Er warf sie ins Wasser, nahm das goldene Etui aus der Tasche und holte eine neue heraus.
    Plötzlich hörte er Schritte auf dem stählernen Deck hinter sich.
    »Nur noch ein paar Stunden, Sire.«
    Ein brennendes Streichholz wurde ihm hingehalten.
    »Ja, mein Getreuer«, sagte er und inhalierte den Rauch. »Wir erwachen auf diesem Schiff wie aus einem Traum. Und was sollen wir bei Tageslicht mit den beiden machen, die mein Geheimnis kennen, dem jungen Schurken und dem alten Philosophen, der mit seinem Wissen die größte aller Bedrohungen darstellen könnte?«
    »Sind Philosophen so gefährlich, Sire?«
    »Lord Rutherford verfügt über einen unerschütterlichen Glauben an das Unsichtbare, Samir. Und er ist kein Feigling. Er will das Geheimnis des ewigen Lebens ergründen. Er weiß, was es bedeutet, Samir.«
    Keine Antwort. Nur derselbe distanzierte und melancholische Gesichtsausdruck.
    »Und ich will dir noch ein kleines Geheimnis verraten, mein Freund«, fuhr er fort. »Inzwischen kann ich den Mann sehr gut leiden.«
    »Es ist mir nicht entgangen, Sire.«
    »Er ist ein interessanter Mann«, sagte Ramses. Und zu seiner Überraschung hörte er seine Stimme brechen. Es fiel ihm schwer, den Satz zu beenden. Schließlich sagte er: »Und ich unterhalte mich gern mit ihm.«
    Hancock saß an seinem Schreibtisch im Büro des Museums und sah auf zu Inspektor Trent von Scotland Yard.
    »Nun, soweit ich sehe, haben wir keine andere Wahl. Wir besorgen uns einen Durchsuchungsbefehl für das Haus, damit wir die Sammlung untersuchen können. Wenn natürlich alles so ist, wie es sein sollte, und keine Münzen fehlen…«
    »Sir, mit den beiden, die wir jetzt haben, ist das so gut wie ausgeschlossen.«

    Teil 2

    Das Grand Colonial Hotel war eine ausgedehnte rosa Anlage mit maurischen Bögen, Mosaikböden, lackierten Trennwänden und pfauenförmigen Korbsesseln. Von den breiten Veranden hatte man einen wunderbaren Ausblick auf den glitzernden Sand und das endlose Blau des Mittelmeers.
    Weißgekleidete reiche Amerikaner und Europäer bevölkerten

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