Die Mumie
Welt, diese Stadt. Und heute war sie nichts weiter als ein Ferienort am Meer. Und dieses Hotel stand genau an der Stelle, wo der Palast gestanden hatte, wo er sie in die Arme genommen und angefleht hatte, ihrer wahnsinnigen Leidenschaft für Markus Antonius zu entsagen.
»Der Mann wird scheitern, siehst du das denn nicht?« hatte er gefleht. »Wäre Julius Cäsar nicht niedergestochen worden, wärst du Kaiserin von Rom geworden. Aber dieser Mann wird dir das niemals gewähren. Er ist schwach, korrupt. Es mangelt ihm an Mut.«
Aber da hatte er zum ersten Mal die wilde, selbstzerstörerische Leidenschaft in ihren Augen gesehen. Sie liebte Markus Antonius. Es war ihr einerlei! Ägypten, Rom, wen kümmerte das schon! Wann hatte sie aufgehört, Königin zu sein? Wann war sie zur gewöhnlichen Sterblichen geworden? Er wußte es nicht. Er wußte nur, daß seine großen Träume und Pläne im Nichts zerrannen.
»Was liegt dir schon an Ägypten!« hatte sie wissen wollen.
»Was kümmert es dich, ob ich Kaiserin von Rom werde? Nicht das willst du von mir. Du möchtest, daß ich dein Elixier trinke, das mich angeblich unsterblich macht, genau wie dich. Und zur Hölle mit meinem sterblichen Leib! Du würdest meinen sterblichen Körper und meine sterbliche Liebe zerstören, gib es zu! Nun, ich kann nicht für dich sterben!«
»Du weißt nicht, was du sagst!«
Haltet ein, Stimmen der Vergangenheit. Hör nur das Meer, das unten ans Ufer brandet. Geh dorthin, wo sich einst der alte Römerfriedhof befunden hat, wo sie sie neben Markus Antonius zur Ruhe gebettet haben.
Vor seinem geistigen Auge sah er die Prozession. Er hörte das Weinen. Und am schlimmsten, er sah sie wieder in den letzten Stunden. »Geh fort mit deinen Versprechungen. Antonius ruft mich aus dem Grab. Ich möchte bei ihm sein.«
Und heute gab es nichts mehr, was an sie erinnerte, abgesehen von dem, was er noch in sich trug. Und was die Legenden überlieferten. Wieder hörte er die Menge, die die schmalen Straßen versperrte und den grasbewachsenen Hang hinab-strömte, um einen Blick auf ihren Sarg zu werfen, der in der Marmorgruft aufgebahrt war.
»Unsere Königin ist als freier Mensch gestorben.«
»Sie hat Oktavian überlistet.«
»Sie war keine Sklavin Roms.«
Ja, aber sie hätte unsterblich sein können!
Die Katakomben. Der Ort, den er noch nicht aufgesucht hatte.
Und warum hatte er Julie gebeten, ihn zu begleiten? Wie schwach er geworden war, daß er sie dort brauchte. Und die Tatsache, daß er ihr nichts erzählt hatte.
Er konnte die Besorgnis in ihrem Gesicht sehen. In ihrem langen, spitzenbesetzten gelben Kleid sah sie so reizend aus.
Anfangs waren ihm diese modernen Frauen alle übertrieben herausstaffiert vorgekommen, aber jetzt begriff er, wie verführerisch ihre Kleidung war – die bauschigen Ärmel, die an den Handgelenken zu engen Manschetten wurden, die eingeschnürten Taillen und die wallenden Röcke. Allmählich ge-wöhnte er sich daran.
Und plötzlich wünschte er sich, weit weg zu sein. In England oder auf dem Weg nach Amerika. Aber die Katakomben, er mußte die Katakomben sehen, ehe sie weiterreisten. Und daher schlenderten sie hinter den anderen Touristen her und lauschten der Stimme des Führers, der von Christen sprach, die hier Zuflucht gesucht hatten und von uralten Ritualen, die lange davor in diesen Felskammern ausgeführt worden waren.
»Du warst schon einmal hier«, flüsterte Julie. »Es ist wichtig für dich.«
»Ja«, antwortete er leise und hielt ihre Hand fest. Wenn sie Ägypten nur jetzt und für immer verlassen könnten. Welchen Sinn hatte es, diese Qualen auf sich zu nehmen?
Die Gruppe schwatzender, flüsternder Touristen blieb stehen.
Sein Blick glitt ängstlich an den Wänden entlang. Jetzt sah er ihn, den kleinen Durchgang. Die anderen gingen weiter, nachdem der Führer sie erneut ermahnt hatte, dicht bei ihm zu bleiben. Er aber hielt Julie zurück, und als sich die anderen langsam entfernten, schaltete er die elektrische Fackel an und betrat den Durchgang.
War es derselbe? Er konnte es nicht sagen. Er konnte sich nur an das erinnern, was geschehen war.
Derselbe Geruch nach feuchtem Fels. Lateinische Worte an den Wänden.
Sie kamen in eine große Kammer.
»Sieh doch«, sagte sie. »Da oben ist ein Fenster in den Fels geschnitten! Und Haken an den Wänden, siehst du sie!«
Ihm kam es so vor, als wäre ihre Stimme weit entfernt. Er wollte antworten, aber es war ihm nicht möglich.
Er starrte ins Dunkel
Weitere Kostenlose Bücher