Die Mumie
schmeckt mir wirklich.«
»Aber«, fragte Alex, »sind Sie nicht Ägypter?«
»Alex, bitte, ich glaube, Mr. Ramsey macht gern ein Geheimnis aus seiner Herkunft«, sagte Julie.
Ramses lachte. Er trank sein Glas leer. »Das stimmt, wie ich gestehen muß. Aber wenn Sie es unbedingt wissen wollen, ich bin… Ägypter, ja.«
»Und wo um alles in der Welt…?«
»Alex, bitte«, sagte Julie.
Alex zuckte die Achseln. »Sie sind und bleiben ein Rätsel, Ramsey!«
»Aber ich habe Sie doch nicht beleidigt, hoffe ich!«
»Wenn Sie mich noch einmal so nennen, dann fordere ich Sie heraus«, sagte Alex.
»Was heißt das?«
»Nichts«, sagte Elliott. Er tätschelte die Hand seines Sohns.
Aber Alex war nicht böse. Und er war sicher nicht beleidigt. Er sah Julie über den Tisch hinweg an und schenkte ihr ein kurzes, trauriges, heimliches Lächeln und sie wußte, sie würde ihm dafür immer dankbar sein.
In Luxor brannte die Mittagssonne auf das Schiff herunter. Sie warteten bis zum Spätnachmittag, bevor sie an Land gingen und den Spaziergang durch den riesigen Tempelkomplex machten. Ramses durfte nicht allein sein, das wußte sie. Er wandelte zwischen den Säulen dahin, hob hin und wieder den Blick, hing aber weitestgehend seinen eigenen Gedanken nach.
Elliott wollte diesen Teil der Reise auf gar keinen Fall versäumen, so anstrengend er auch immer sein mochte. Alex ging ganz langsam, damit sein Vater sich auf seinen Arm stützen konnte. Und Samir ging ebenfalls neben dem Earl. Sie schienen in eine angeregte Unterhaltung verstrickt.
»Der Schmerz läßt nach, stimmt’s?« fragte Julie. »Wenn ich dich ansehe, spüre ich ihn gar nicht mehr«, antwortete Ramses. »Julie ist in Ägypten so wunderschön wie in London.«
»Waren hier schon Ruinen, als du zum letzten Mal hier warst?«
»Ja, und die Ruinen waren so tief im Sand versunken, daß nur die oberen Enden der Säulen sichtbar waren. Die Straße der Sphinxe war völlig mit Sand bedeckt. Tausend Jahre waren vergangen, seit ich als sterblicher Mann an diesem Ort gewandelt war, als Narr, der Ägypten für den Nabel der Welt hielt und der glaubte, außerhalb seiner Grenzen existiere keine Wahrheit.« Er blieb stehen, drehte sich zu ihr um und küßte sie rasch auf die Stirn. Dann folgte ein schuldbewußter Blick zu der Gruppe hinter ihnen. Nein, nicht schuldbewußt, nur be-dauernd. Sie nahm seine Hand. Sie gingen weiter. »Eines Tages werde ich dir alles erzählen«, sagte er. »Ich werde dir soviel erzählen, daß du des Zuhörens müde wirst. Ich werde dir erzählen, wie wir uns gekleidet und miteinander gesprochen haben, wie wir gespeist und getanzt haben, wie diese Tempel und Paläste aussahen, als die Farbe noch an den Wänden glänzte und wie ich morgens und mittags und bei Sonnenuntergang herausgekommen bin, um den Gott zu be-grüßen und die Gebete zu sprechen, die das Volk hören wollte. Aber komm, es wird Zeit, daß wir den Fluß überqueren und zum Tempel von Ramses dem Dritten reiten. Ich möchte ihn so gerne sehen.«
Er gab einem der Ägypter in der Nähe ein Zeichen. Er wollte, daß man sie mit einer Sänfte zur Anlegestelle brachte. Sie war froh, daß sie den anderen ein Weilchen entrinnen konnte.
Als sie den Fluß überquert und den gewaltigen unüberdachten Tempel mit seinem Säulenhof erreicht hatten, wurde er seltsam still. Er betrachtete die Reliefs des großen Kriegers und Königs in der Schlacht.
»Das war mein erster Schüler«, sagte er. »Zu dem ich nach Jahrhunderten der Wanderschaft gekommen war. Ich war nach Ägypten heimgekehrt, um zu sterben, doch nichts vermochte mich zu töten. Und dann begriff ich, was ich tun muß-
te. Zum Königshaus gehen und Lehrmeister werden. Er glaubte mir, der hier, mein Namensvetter, mein Nachkomme. Er hörte mir zu, wenn ich ihm von der Vergangenheit und von fernen Ländern erzählte.«
»Und das Elixier, hat er das nicht gewollt?«
Sie standen allein in den Ruinen des großes Saals und befanden sich inmitten der behauenen Säulen. Der Wüstenwind war jetzt kalt. Er zerzauste Julies Haar. Ramses legte die Arme um sie.
»Ich habe ihm nie gesagt, daß ich einmal ein sterblicher Mensch war«, sagte er. »Weißt du, das habe ich niemandem verraten. Ich wußte aus den letzten Jahren meines Lebens als Sterblicher, was das Geheimnis anrichten konnte. Ich hatte mitansehen müssen, wie Meneptah, mein Sohn, dadurch zum Verräter wurde. Selbstverständlich scheiterte sein Bemühen, mich gefangen zu nehmen und mir
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