Die Mumie
langsam.
»Das können Sie?« hauchte er.
»Ja, das kann ich. Freunde kommen. Bringen den Englischmann fort.«
»Ja, sehr gut.« Er seufzte, und die Schmerzen in seiner Brust wurden wieder schlimmer. Er steckte die rechte Hand zögernd in die Innentasche und holte Geld heraus. Er konnte kaum die Finger der Linken bewegen, als er zwei Zehnpfundnoten he-rausnahm.
»Für Sie«, sagte er. Vor lauter Erschöpfung machte er die Augen wieder zu. Er spürte, wie ihm das Geld aus der Hand genommen wurde. »Aber Sie müssen vorsichtig sein. Sie dürfen niemand erzählen, was Sie gesehen haben.«
»Ich erzähle es keinem. Ich kümmere mich um… Dies ist mein Haus. Mein Bruder gegeben.«
»Ich verstehe. Ich werde nur noch eine kurze Weile hier sein.
Das verspreche ich Ihnen. Ich werde die Frau mit mir nehmen.
Aber vorerst werden Sie Geduld haben und dafür noch mehr Geld bekommen. Viel mehr.« Er sah wieder auf das Geldbündel. Er zog mehrere Geldscheine heraus und drückte sie ihr in die Hand, ohne sie abzuzählen.
Dann lehnte er sich wieder zurück und schloß die Augen. Er hörte, wie sie leichtfüßig über den Teppich schritt. Dann be-rührte sie ihn wieder mit der Hand.
Als er aufsah, stand sie in Schwarz gehüllt vor ihm und hielt ein zweites schwarzes Gewand in der Hand.
»Du mußt bedecken«, flüsterte sie. Und richtete die Augen zum Innenhof.
»Ich bedecke«, flüsterte er. Und schloß wieder die Augen.
»Du mußt bedecken!« hörte er sie verzweifelt sagen. Und wieder versicherte er, daß er es tun würde.
Er hörte, wie sie erleichtert hinausging und die Tür zur Straße zumachte.
In dem langen, wallenden Beduinengewand schritt Ramses zwischen den Touristen durch das Museum und sah durch die dunkle Brille zu der leeren Stelle am Ende der Halle, wo der Schaukasten gestanden hatte. Jetzt erinnerte nichts mehr daran! Kein zerbrochenes Glas, kein gesplittertes Holz. Und die Phiole, die ihm aus der Hand gefallen war. Fort.
Aber wo konnte sie sein! Was war aus ihr geworden! Wütend dachte er an die Soldaten, die ihn umzingelt hatten. War sie denen in die Hände gefallen?
Er schritt weiter, bog um die Ecke und ließ den Blick über die Statuen und Sarkophage schweifen. Er konnte sich nicht erinnern, daß er jemals ein solches Elend verspürt hatte. Er hatte kein Recht, neben Männern und Frauen zu gehen und dieselbe Luft zu atmen.
Er wußte nicht, wohin er gehen oder was er machen sollte.
Wenn ihm nicht bald etwas einfiel, würde er den Verstand verlieren.
Eine Viertelstunde war vergangen, vielleicht weniger. Sie bedecken, ja. Nein, sie aus dem Garten fortschaffen, bevor die Männer kommen. Reglos lag sie jetzt in der Sonne und murmelte ab und zu im Schlaf.
Er umklammerte den Gehstock und stand auf. Er hatte wieder ein Gefühl im linken Bein, und das bedeutete, er hatte Schmerzen.
Er ging ins Schlafzimmer. Ein hohes, altmodisches viktorianisches Bett stand an der gegenüberliegenden Wand. Die Sonne fiel durch die offenen Jalousien der Fenster auf das weiße Moskitonetz.
Gleich links vom Fenster stand ein Toilettentisch. Und in der linken Ecke ein Schrank, hinter dessen offenen Spiegeltüren man eine Reihe Wolljacken und Mäntel erkennen konnte.
Auf dem Toilettentisch stand ein kleines tragbares Grammophon mit Trichter. Daneben ein Set Schallplatten im Schuber.
»Englisch lernen« verkündete die Aufschrift. Dazu eine Platte mit Tanzmusik. Ein Aschenbecher. Mehrere Zeitschriften und eine halbvolle Flasche Scotch.
Hinter einer offenen Tür rechts vom Bett konnte er ein richtiges Bad sehen. Kupferbadewanne, Handtücher.
Er machte kehrt und ging durch eine Tür in ein weiteres Zimmer, das an der Nordseite des Innenhofs lag und dessen Jalousien sämtlich heruntergelassen waren. Hier bewahrte die dunkle Schönheit ihre kitschigen Tanzkostüme und den billigen Schmuck auf. Aber einer der Schränke war voll von west-lichen Kleidungsstücken, sowie Schuhen nach westlicher Art, Stockschirmen und einigen Hüten mit unmöglich breiten Krempen.
Aber was nützten diese Kleidungsstücke, wenn das arme Ding vor neugierigen Blicken geschützt werden mußte? Er fand die bekannten Moslemgewänder ordentlich zusammengelegt auf einem der unteren Regale. Also konnte er sie in ein frisches Gewand hüllen – das heißt, falls Malenka ihm gestattete, die Kleidungsstücke zu kaufen.
In der Tür blieb er stehen, um tief Luft zu holen. Er betrachtete das königliche Bett im Sonnenschein, das Moskitonetz, das von
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