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Die Mumie

Die Mumie

Titel: Die Mumie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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einer kreisrunden Halterung herabfiel, die ihrerseits wie eine Krone aussah. Der Augenblick schien tranceähnlich, endlos. Bilder von Henrys Tod standen vor seinem inneren Auge.
    Und doch empfand er nichts. Nichts – außer vielleicht ein kaltes Entsetzen, das ihm den Lebenswillen raubte.
    Lebenswille. Er hatte die Phiole in der Tasche. Er besaß einige Tropfen dieser kostbaren Flüssigkeit!
    Auch das war ihm gleichgültig und vermochte seine Müdigkeit nicht zu vertreiben. Die tote Putzfrau im Museum, Henry tot im Innenhof, das Ding, das da draußen in der Sonne lag!
    Er konnte nicht denken. Warum es überhaupt versuchen? Er mußte mit Ramses sprechen, soviel stand fest. Aber wo war Ramses? Was hatten die Kugeln ihm angetan? Wurde er von den Männern festgehalten, die ihn weggebracht hatten?
    Aber zuerst die Frau. Er mußte sie wegbringen und verstek-ken, damit Henrys Leichnam weggebracht werden konnte.
    Es war immerhin möglich, daß sie auch die Männer angriff, die kommen würden, um die Leiche zu holen. Und ein Blick auf sie konnte diesen vielleicht noch mehr Schaden zufügen.
    Er hinkte in den Innenhof und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Er und Ramses waren keine Feinde. Jetzt waren sie Verbündete. Und vielleicht… Aber er hatte keine Energie mehr für solche Träume und Ambitionen – nur für das, was unbedingt getan werden mußte.
    Er ging einige zögerliche Schritte auf die Frau zu, die auf dem gefliesten Boden des Innenhofs lag.
    Die Mittagssonne brannte heiß, und plötzlich hatte er Angst um sie. Er kniff die Augen zusammen, als er sie ansah: denn gewiß sah er nicht, was er zu sehen glaubte.
    Sie stöhnte, sie litt – aber was für eine außergewöhnlich schö-

    ne Frau lag da vor ihm.
    Sicher, durch ihr rabenschwarzes Haar schimmerte immer noch ein Knochen, und auch ihr Kiefer war noch nicht ganz heil. Zugegeben, zwei Finger ihrer rechten Hand waren immer noch ohne Fleisch, und von den Gelenken tropfte Blut. Und auch die Brustverletzung war noch nicht verheilt, so daß die weißen Rippenknochen mit der dünnen, von kleinen Äderchen durchzogenen Haut sichtbar waren.
    Aber das Gesicht besaß wieder alle menschlichen Konturen!
    Die wunderschön geformten Wangen hatten eine lebhafte Farbe angenommen. Der Mund war wunderschön geschwungen und rubinrot. Und die Haut hatte eine liebreizende oliven-farbene Färbung.
    Ihre Brustwarzen waren dunkelrosa, die Brüste selbst wohlgeformt und fest.
    Was ging hier vor sich? Wirkte das Elixier erst nach einer ge-wissen Zeit?
    Vorsichtig näherte er sich der Frau. Die Hitze legte sich drük-kend auf ihn. Sein Kopf begann sich zu drehen. Er bemühte sich einmal mehr, nicht das Bewußtsein zu verlieren, tastete nach der Säule hinter sich, stützte sich ab und ließ keinen Blick von der Frau, die jetzt ihre haselnußbraunen Augen aufschlug.
    Sie räkelte sich, hob die rechte Hand und sah sie wieder an.
    Gewiß spürte sie, was mit ihr vor sich ging. Es schien, als hät-te sie Schmerzen. Als sie das offene Fleisch ihrer Hand be-rührte, stöhnte sie.
    Aber sie ließ nicht erkennen, ob sie begriff, daß der Heilungsprozeß eingesetzt hatte. Sie ließ den Arm schlaff heruntersin-ken und machte wieder die Augen zu. Sie weinte leise.
    »Ramses«, sagte sie wie im Halbschlaf.
    »Komm mit mir«, sagte Elliott leise auf lateinisch. »Komm hinein, in ein richtiges Bett.«
    Sie sah ihn dumpf an.
    »Die warme Sonne scheint auch dorthin«, sagte er. Und kaum hatte er die Worte ausgesprochen, ging ihm ein Licht auf. Die Sonne heilte sie! Er hatte gesehen, wie sich ihre Hand verändert hatte, als sie durch die Straßen gegangen waren. Sie war der einzige entblößte Körperteil gewesen, abgesehen von den Augen, und auch die waren geheilt.
    Und die Sonne hatte auch Ramses erweckt. Das also bedeuteten die seltsamen Worte auf dem Sarg, daß keine Sonne in das Grab dringen durfte.
    Aber er hatte jetzt keine Zeit, darüber nachzudenken oder Fragen zu stellen. Sie hatte sich aufgerichtet, die Stoffetzen waren völlig von ihren Brüsten abgefallen. Ihr Gesicht, das zu ihm aufsah, war wunderschön und feingeschnitten, die Wangen zart, die Augen leuchtend.
    Sie gab ihm ihre Hand, doch als sie die Knochenfinger sah, zog sie sie zischend wieder zurück.
    »Komm, vertraue mir«, sagte er. Er half ihr auf die Füße.
    Er führte sie durch das kleine Haus ins Schlafzimmer. Sie studierte die Gegenstände um sich herum. Mit dem Fuß untersuchte sie den weichen Perserteppich. Sie

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