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Die Mumie

Die Mumie

Titel: Die Mumie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Knöchel hatte sich fast völlig geschlossen.
    Er starrte sie einen Moment an, dann sah er ihr wieder in die Augen. Ja, die Lider waren ein Stück nachgewachsen, und lange, wunderschöne schwarze Wimpern bogen sich nach oben und verbargen das aufgeschundene Fleisch.
    Wieder legte er den Arm um sie. Sofort schmiegte sie sich an ihn, ein weiches, zitterndes Ding. Ein leises Seufzen entwich aus ihrem Mund.
    Plötzlich bemerkte er den Parfumgeruch, der von ihr ausging, ein aromatisches, süßes und durch und durch wohlriechendes Parfüm. Er nahm auch den Geruch von Staub und getrockne-tem Flußschlamm wahr – aber nur schwach. Das Parfüm war kräftig und moschusartig. Er spürte ihre Wärme durch den schwarzen Stoff.
    Großer Gott, was ist das für ein Elixier? Welche Kräfte schlum-mern in ihm?
    »Sachte, sachte, meine Liebe«, sagte er auf englisch. »Wir sind schon da. Die Tür da am Ende.«
    Er spürte, wie sie den Arm um ihn legte. Sie stützte ihn mit kräftiger Hand und nahm so die Last von seinem tauben linken Fuß. Die Schmerzen in der linken Hüfte ließen nach. Er lachte kurz und erleichtert auf. Tatsächlich hätte er fast lauthals gelacht. Aber er beherrschte sich. Er ging einfach weiter und ließ sich von ihr helfen, bis sie die Tür erreicht hatten.
    Dort ruhte er einen Moment aus, bevor er mit der rechten Faust dagegenhämmerte.
    Er hätte keinen Schritt weiter gehen können.
    Eine ganze Weile hörte er gar nichts. Er klopfte wieder und wieder. Dann hörte er, wie der Riegel zurückgeschoben wurde, und Henry kam blinzelnd, unrasiert und nur mit einem grü-
    nen Morgenmantel aus Seide bekleidet, heraus.
    »Zum Teufel, was willst du hier?«
    »Laß mich rein.« Er stieß die Tür auf und zog die Frau mit sich hinein. Sie drängte sich verzweifelt an ihn und verbarg das Gesicht.
    Aus den Augenwinkeln sah er, daß das Haus luxuriös einge-richtet war – Teppiche, Möbel, Karaffen auf einem Sideboard aus Marmor. Hinter einem Torbogen hatte eine dunkelhäutige Schönheit im Tanzkostüm aus Satin – offensichtlich Malenka –
    gerade ein Tablett mit dampfenden Speisen abgestellt. Kleine Orangenbäume wuchsen dicht an der weißgetünchten Gar-tenmauer.
    »Wer ist diese Frau!« wollte Henry wissen.
    Elliott, der sich immer noch an ihr festhielt, schleppte sich zum Sessel. Aber er konnte sehen, daß Henry die Füße der Frau anstarrte. Er hatte den bloßen Knochen gesehen. Ein Ausdruck des Ekels und der Verwirrung huschte über Henrys Gesicht.
    »Wer ist sie! Warum hast du sie hergebracht!«
    Von Krämpfen geschüttelt, wich Henry jetzt zurück und prallte dabei gegen die Säule, die den Bogen zum Innenhof teilte und stieß mit dem Kopf an den Stein.
    »Was stimmt mit ihr nicht!« wollte er wissen.
    »Geduld, ich werde dir alles erzählen«, flüsterte Elliott. Die Schmerzen in seiner Brust waren jetzt so furchtbar, daß er die Worte kaum aussprechen konnte. Er senkte sich auf den Rattansessel und spürte, wie der Griff der Frau nachließ. Er hörte, wie sie ein leises Geräusch von sich gab. Als er aufsah, stellte er fest, daß sie den Schrank auf der anderen Seite des Zimmers gesehen hatte und die Flaschen, die im Licht des Innenhofs funkelten.

    Sie ging stöhnend auf die Flaschen zu. Das schwarze Gewand fiel von ihrem Haupt, dann von den Schultern und entblößte die Rippenknochen, die durch das klaffende Loch im Rücken zu sehen waren, sowie Überreste von Bandagen, die kaum ausreichten, ihre Blöße zu bedecken.
    »Um Gottes willen, keine Panik!« schrie Elliott.
    Aber es war zu spät. Henrys Gesicht wurde weiß, sein Mund zuckte und bebte. Hinter ihm im Innenhof stieß Malenka einen markerschütternden Schrei aus.
    Die verwundete Kreatur ließ die Flasche mit einem jämmerli-chen Stöhnen fallen.
    Henry zog die Hand aus der Tasche. Das Sonnenlicht fiel auf seine kleine silberne Pistole.
    »Nein, Henry!« schrie Elliott. Er wollte aufstehen, konnte aber nicht. Die Pistole ging mit demselben nervtötenden Knall los wie die Gewehre im Museum. Der Papagei schrie in seinem Käfig.
    Die verwundete Frau schrie auf, als die Kugel in ihre Brust eindrang. Sie taumelte rückwärts, dann lief sie mit einem tiefen Knurren auf Henry zu.
    Die Laute, die Henry von sich gab, konnte man nicht mehr menschlich nennen. Er hatte den Verstand verloren. Er wich in den Innenhof zurück und feuerte einen Schuß nach dem anderen ab. Die Frau näherte sich ihm schreiend, schlug ihm die Waffe aus der Hand und packte ihn am Hals. Sie

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