Die Mumie
sie: »Sprich englisch zu mir, Lord Rutherford. Sprich die Sprache, in der du mit dem Sklavenmädchen gesprochen hast. Sprich die Sprache, wie sie hier in diesem Buch geschrieben steht. Bring mir Speisen und Getränke, denn ich bin ausgezehrt.«
»Ja«, sagte er auf englisch und nickte ihr zu. Er wiederholte die Bekräftigung auf lateinisch. »Speisen und Getränke.«
»Und du mußt mir sagen…«, begann sie, verstummte dann aber. Die Schmerzen quälten sie, und dann legte sich ihre Hand auf die Wunde am Kopf. »Sag mir…«, versuchte sie erneut, aber dann sah sie ihn voller Verwirrung an. Sie bemüh-te sich eindeutig, sich zu erinnern, doch der Schmerz war stärker. Sie preßte die Hände an den Kopf und fing an zu weinen.
»Hier, warte, ich habe die Medizin«, flüsterte er. Langsam ließ er sich neben dem Bett nieder und zog die Phiole aus der Tasche. Ein Fingerbreit Flüssigkeit befand sich noch darin und glitzerte unnatürlich in der Sonne.
Argwöhnisch betrachtete sie die Phiole. Sie sah ihm zu, wie er sie aufmachte. Er hob sie hoch und berührte zärtlich das Haar der Frau, doch sie hielt seine Hand fest. Sie deutete auf ihre Lider, und er sah, daß immer noch kleine Stellen zu sehen waren, wo die Haut fehlte. Sie nahm ihm die Phiole ab, tröpfelte einen oder zwei Tropfen auf den Finger und strich sich damit über die Lider.
Elliott kniff die Augen zusammen und beobachtete. Er konnte die Wirkung fast hören, ein schwaches raschelndes, knistern-des Geräusch.
In ihrer Verzweiflung nahm sie jetzt die Phiole und schüttete den restlichen Inhalt in das klaffende Loch in ihrer Brust. Sie verrieb sie mit den Fingern der linken Hand, wimmerte leise, lehnte sich zurück, stöhnte leise, warf den Kopf auf dem Kissen hin und her und lag dann still.
Mehrere Minuten vergingen. Was er sah, faszinierte ihn. Ihre Lider waren jetzt völlig normal, die Wimpern dunkel und dicht.
Doch die Wunde in ihrer Brust sah so böse aus wie zuvor.
Erst allmählich begriff er, daß es sich hier wirklich um Kleopatra handelte, daß Ramses den Leichnam seiner verlorenen Geliebten gefunden hatte. Und erst allmählich wurde ihm klar, weshalb Ramses getan hatte, was er getan hatte. Er fragte sich, wie es sein mochte, über eine solche Macht zu verfügen.
Er hatte von Unsterblichkeit geträumt, aber nicht von der Macht, sie zu gewähren. Und dies war nicht nur die Macht, Unsterblichkeit zu gewähren, sondern ein Sieg über den Tod.
Aber die Auswirkungen… die erschütterten ihn. Diese Kreatur, was ging in ihrem Kopf vor? Und woher kam ihr Geist? Herrgott, er mußte mit Ramsey sprechen.
»Ich bringe noch mehr von dieser Medizin«, sagte er auf englisch und übersetzte unverzüglich ins lateinische. »Ich bringe sie her zu dir, aber du mußt dich jetzt ausruhen. Du mußt hier in der Sonne liegen bleiben.« Er deutete auf das Fenster. In beiden Sprachen erklärte er, daß die Medizin nur in Verbindung mit der Sonne wirkte.
Sie sah ihn schläfrig an. Sie sprach seine englischen Sätze nach, ihre Aussprache war ausgezeichnet. Aber ihre Augen hatten einen glasigen und irren Ausdruck. Sie murmelte auf lateinisch, daß sie sich nicht erinnern konnte, und dann fing sie wieder an zu weinen.
Er konnte den Anblick nicht ertragen. Aber was konnte er noch tun? So schnell er konnte, ging er ins Nebenzimmer und brachte ihr eine Flasche schweren, kräftigen Brandy, den sie ihm unverzüglich abnahm und trank.
Ihre Augen wurden trüb, dann stöhnte sie.
Das Grammophon. Ramsey liebte Musik. Die Musik faszinierte Ramsey. Elliott ging zu der kleinen Maschine und sah die Platten daneben durch. Jede Menge Platten zum Englischlernen.
Ah, da war, was er wollte: Aida. Caruso sang den Radames.
Er betätigte die Kurbel und legte die Nadel auf die Platte. Als die ersten dünnen Töne des Orchesters einsetzten, richtete sie sich auf dem Bett auf und sah ihn voller Entsetzen an. Er ging zu ihr hin und berührte sie sanft an der Schulter.
»Oper, Aida«, sagte er. Er suchte nach lateinischen Worten, um ihr zu erklären, daß es sich um eine Musikmaschine handelte, die durch das Zusammenwirken verschiedener Teile funktionierte. »Ein Mann singt ein Lied für seine ägyptische Geliebte.«
Sie stand vom Bett auf und stolperte an ihm vorbei. Sie war fast völlig nackt. Ihr Körper war herrlich anzusehen: schmale Hüften, wohlproportionierte Beine. Er versuchte, sie nicht anzustarren, nicht auf die Brüste zu starren. Er ging langsam zum Grammophon und hob die
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