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Die Mumie

Die Mumie

Titel: Die Mumie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Dafür liebe ich dich zu sehr. Ich habe dir alles gesagt.«
    Sie sah ihm nach, wie er die Treppe hinuntereilte. Er setzte wieder seine Kopfbedeckung auf und wurde zum Scheich.
    Dann hob er eine Hand zu einem anmutigen Abschiedsgruß und trat in die Dunkelheit hinaus.
    Sie wollte nicht in ihre Zimmer zurückkehren. Sie wollte Elliott nicht sehen.
    Sie wußte jetzt, warum er diese Reise unternommen hatte. Sie hatte es die ganze Zeit gespürt, aber jetzt wußte sie es. Ramses ins Museum zu folgen. Daß er zu solchen Mitteln gegriffen hatte, erstaunte sie. Aber wenn sie genauer darüber nachdachte, bestand kein Grund, warum sie darüber erstaunt sein sollte? Schließlich hatte er es geglaubt, als einziger außer Samir. Und das Geheimnis und die Verheißung hatten ihn ge-fesselt.
    Während sie zu ihrer Suite zurückging, betete sie, daß er das ganze Ausmaß des Bösen begriffen hatte, das sich ihnen dar-bot. Und als sie daran dachte, daß ein Geschöpf – wie böse oder gefährlich oder grausam es auch immer sein mochte – in der Dunkelheit eingesperrt war und nicht erwachen konnte, zitterte sie und fing wieder an zu weinen.

    Er war immer noch da, saß in dem Plüschsessel und trank den letzten Gin. Er hatte keine Kraft zu gehen. Sie machte die Tür zu und sah ihn an.
    Dann sprudelten die Worte nur so aus ihr heraus. Aber sie machte ihm keine Vorwürfe. Sie erzählte ihm nur alles, was Ramses gesagt hatte. Sie erzählte die Geschichte von der Nahrung, die ungenießbar war, vom Vieh, das nicht ge-schlachtet werden konnte. Sie erzählte ihm die Geschichte vom unstillbaren Hunger und Verlangen des Fleisches, die Geschichte von Einsamkeit und Alleinsein. Wie ein Schwall brach es aus ihr heraus, während sie hin und her ging, ihn nicht ansah, seinem Blick auswich.
    Schließlich war sie fertig und es war still im Zimmer.
    »Als wir jung waren«, sagte er, »haben dein Vater und ich viele Monate in Ägypten verbracht. Wir haben über unseren Büchern gesessen, haben in uralten Gräbern studiert, haben Texte übersetzt, sind Tag und Nacht durch den Sand gestreift.
    Das alte Ägypten. Es wurde unsere Muse, unsere Religion.
    Wir träumten von einem geheimen Wissen, das in der Lage sein würde, uns all das zu ersparen, was zu Langeweile und schließlich Hoffnungslosigkeit führt.
    Enthielten die Pyramiden tatsächlich ein noch unentdecktes Geheimnis? Kannten die Ägypter eine geheime Sprache, auf die die Götter hörten? Welche unentdeckten Gräber lagen in diesen Hügeln? Welche Philosophie war noch zu entdecken?
    Welche Magie?
    Oder gab sich diese Kultur lediglich den Anschein von Bildung, täuschte sie ein wahres Geheimnis vor? Wir fragten uns manchmal, ob sie tatsächlich weise und geheimnisvoll gewesen waren oder einfach nüchtern und brutal.
    Wir haben es nie erfahren. Ich weiß es heute noch nicht. Nur heute ist mir klar, daß die Suche die Leidenschaft war! Die Suche, verstehst du?«
    Sie antwortete nicht. Als sie ihn ansah, wirkte er sehr alt. Seine Augen waren bleischwer. Er erhob sich aus dem Sessel, kam auf sie zu und küßte sie auf die Wange. Seine Bewegungen waren auch jetzt noch anmutig. Wieder kam ihr der seltsame Gedanke in den Sinn, den sie früher so oft gehabt hatte.

    Sie hätte ihn lieben und heiraten können, wenn Alex und Edith nicht gewesen wären.
    Und kein Ramses.
    »Ich habe Angst um dich, Liebes«, sagte er. Und dann verließ er sie.
    Die Nacht, die leere, stille Nacht, nur vom leisen Echo der Musik erfüllt, lag unter ihr. Und all die früheren seligen und traum-losen Nächte waren wie der verlorene Trost und die Täuschungen der Kindheit.

    Dämmerung. Der gewaltige, endlose rosafarbene Himmel wölbte sich über den unendlichen Schatten der Pyramiden und der rauhen, nur mehr unvollständigen Sphinx, deren Pfoten vor ihm auf den gelben Sand gebettet waren. Die düsteren Umrisse des Mena House zeichneten sich still und verlassen gegen den Himmel ab, nur wenige Lichter brannten in den hinteren Zimmern.
    Nur ein einsamer Mann in Schwarz ritt mit seinem häßlichen Kamel am Horizont entlang. Irgendwo stieß eine Dampflokomotive ein schrilles, abgehacktes Pfeifen aus.
    Ramses stapfte durch den Sand, bis er zu der gigantischen Sphinx kam, wo er sich zwischen ihre Pfoten stellte und zum verwüsteten Gesicht aufsah, das zu seiner Zeit noch wunderschön gewesen und mit einer feinen Schicht glänzenden Kalk-steins überzogen war.
    »Aber du stehst immer noch hier«, flüsterte er in der alten Sprache und

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