Die Mumie
ganz deutlich. Es war, als hätte ein Windhauch ihr Haar ergriffen und es leicht von den Schultern gehoben, ein heißer Wüstenwind, der über den Sand wehte, durch die Palastsäle, über sie, irgendwie in sie und durch sie hindurch.
Ihr Haar gab ein leises summendes Geräusch von sich.
In den Katakomben hatte es angefangen! Der alte Priester hatte die Geschichte erzählt, und beim Essen hatten sie alle darüber gelacht. Ein Unsterblicher, der in der tiefen Felsen-kammer schlummerte, Ramses der Verdammte, Ratgeber früherer Könige, der sich zur Zeit ihrer Ur-ur-Großväter im Dunkeln zum Schlafen niedergelegt hatte.
Und als sie erwacht war, hatte sie nach ihm gerufen.
»Es ist eine alte Legende. Der Vater meines Vaters hat sie ihm erzählt, doch der hat sie nicht geglaubt. Aber ich habe ihn mit eigenen Augen gesehen, den schlafenden König. Ihr müßt Euch jedoch der Gefahren bewußt sein.«
Dreizehn Jahre alt. Sie glaubte nicht an so etwas wie Gefahren, nicht im gewöhnlichen Sinne. Es hatte immer schon Gefahren gegeben.
Sie gingen gemeinsam durch den grobbehauenen Steingang.
Staub rieselte von der brüchigen Decke herab. Der Priester trug eine Fackel vor sich her.
»Was für eine Gefahr? Diese Katakomben sind die Gefahr.
Sie könnten über uns zusammenstürzen!«
Mehrere Felsbrocken waren ihr vor die Füße gefallen.
»Ich sage dir, das gefällt mir nicht, alter Mann.«
Der Priester hatte weiter gedrängt. Ein dünner, kahler Mann mit hängenden Schultern.
»Es heißt, wenn er erst einmal geweckt ist, kann man ihn nicht einfach wieder loswerden. Er ist kein hirnloses Geschöpf, sondern ein unsterblicher Mensch mit einem eigenen Willen. Er wird dem König oder der Königin von Ägypten als Ratgeber zur Seite stehen, wie früher. Aber er wird auch tun, was ihm gefällt.«
»Hat dein Vater das gewußt?«
»Man hat es ihm gesagt. Er glaubte es nicht. Auch der Vater eures Vaters nicht, oder dessen Vater. Aber König Ptolemäus zur Zeit Alexanders, der wußte es und rief Ramses mit den Worten: ›Stehe auf, Ramses der Große, ein König Ägyptens braucht deinen Rat.‹«
»Und dieser Ramses ist in seine dunkle Kammer zurückgekehrt? Und hat nur den Priestern sein Geheimnis anvertraut?«
»So hat man es mir gesagt, und meinem Vater. Man hat mir gesagt, daß ich zu meiner Herrscherin gehen und ihr die Geschichte erzählen müsse.«
Es war heiß und stickig an diesem Ort. Die wohltuende Kühle der Erde fehlte. Sie wollte nicht weiter gehen. Das Flackern der Fackel gefiel ihr nicht, ebensowenig das fahle Licht an der runden Decke. Hier und da waren Zeichen an den Wänden, Krakel in der uralten Bildersprache. Sie konnte sie nicht lesen.
Wer konnte das schon? Sie machten ihr Angst, und sie mochte es nicht, wenn sie Angst hatte.
Und sie waren um so viele Biegungen und Weggabelungen gegangen, daß sie allein nie mehr den Weg nach draußen gefunden hätte.
»Ja, erzähl der Königin deiner Zeit die Geschichte«, sagte sie,
»so lange sie noch jung und dumm genug ist, sie zu glauben.«
»Jung genug, Glauben zu haben. Das habt Ihr: Glauben und Träume. Weisheit ist nicht immer das Geschenk des hohen Alters, Majestät. Manchmal gar der Fluch.«
»Und warum gehen wir dann zu diesem uralten Mann?« Sie hatte gelacht.
»Mut, Majestät. Er liegt dort, hinter jener Tür.«
Sie hatte nach vorne gesehen. Dort war eine Tür – eine Tür mit zwei gewaltigen Flügeln! Mit Staub bedeckt, und unter dem Staub Inschriften. Ihr Herz hatte schneller geschlagen.
»Führe mich hinein.«
»Ja, Majestät. Aber bedenkt die Warnung. Ist er erst einmal geweckt, kann er nicht wieder weggeschickt werden. Er ist ein mächtiger Unsterblicher.«
»Mir egal! Ich will ihn sehen!«
Sie war vor dem alten Mann eingetreten. Im tanzenden Schein seiner Fackel hatte sie die griechischen Worte laut gelesen:
»Hier liegt Ramses der Unsterbliche. Er nennt sich selbst Ramses der Verdammte, denn er kann nicht sterben. Er schläft ewig und wartet auf den Ruf eines Königs oder einer Königin von Ägypten.«
Sie war zurückgewichen.
»Mach die Türen auf! Rasch!«
Hinter ihr hatte er eine geheime Stelle in der Wand berührt. Mit einem lauten Knirschen waren die Türen langsam zurückge-glitten und hatten den Blick auf eine große, schmucklose Kammer freigegeben.
Der Priester hatte die Fackel hochgehalten, als er neben ihr eingetreten war. Staub, der reine gelbe Staub einer Höhle, die die wilden Tiere oder arme Wanderer und Jäger der
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