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Die Mumie

Die Mumie

Titel: Die Mumie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Hügel und Höhlen und Gräber nicht kannten.
    Und dort auf dem Altar ein hageres, verschrumpeltes Wesen, das die verdorrten Arme über der Brust verschränkt hatte.
    Brauner Haarflaum zierte seinen Kopf.
    »Du armer Narr. Er ist tot. Die trockene Luft erhält ihn.«
    »Nein, Majestät. Seht Ihr die Klappe da oben und die Kette, die daran hängt? Diese muß jetzt geöffnet werden.«
    Er hatte ihr die Fackel gegeben und mit beiden Händen an der Kette gezogen. Wieder das Knirschen, das Quietschen. Staub wirbelte durch die Luft und brannte ihr in den Augen, aber dann war hoch oben eine große eisenbeschlagene Luke aufgegangen. Wie ein Auge zum blauen Himmel hinauf.
    Die heiße Sommersonne schien herab auf den schlafenden Mann. Sie hatte die Augen aufgerissen. Welche Worte gab es, zu beschreiben, was sie gesehen hatte. Der Körper war fülliger geworden, war zum Leben erwacht. Das braune Haar wurde dichter, die Lider hatten gezittert, die Wimpern gebebt.
    »Er lebt. Wahrhaftig.«
    Sie hatte die Fackel beiseite geworfen und war zu dem Altar gelaufen. Sie hatte sich über ihn gebeugt, ohne ihn vor der Sonne abzuschirmen.
    Und er hatte die leuchtend blauen Augen aufgeschlagen!
    »Ramses der Große, stehe auf! Eine Königin von Ägypten braucht deinen Rat.«
    Reglos und stumm schaute er zu ihr auf.
    »So wunderschön«, hatte er geflüstert.
    Sie sah über den Platz vor dem Shepheard Hotel. Sie sah, wie die Stadt Kairo zum Leben erwachte. Die Karren und Automobile fuhren lärmend durch die sauberen, gepflasterten Stra-
    ßen. Vögel sangen auf den gestutzten Bäumen. Barken fuhren auf dem glatten Wasser des Flusses.
    Die Worte von Elliott Rutherford fielen ihr wieder ein. »Viele Jahrhunderte sind vergangen… moderne Zeiten… Ägypten hat viele Eroberer gesehen… Wunder, wie du sie dir nicht vorstellen kannst.«
    Ramses stand in der Beduinenkleidung vor ihr, weinte, flehte sie an, ihm zuzuhören.
    An dem dunklen Ort mit dem glänzenden Glas, den vielen Statuen und Särgen ohne Ende war sie unter Schmerzen auferstanden und hatte seinen Namen gerufen!
    Blut war an seinem Hemd zu sehen gewesen, wo sie ihn verletzt hatten. Und dennoch war er auf sie zugetaumelt. Dann hatte der zweite Schuß seinen Arm getroffen. Dieselben bösen Schmerzen, die derjenige namens Henry ihr bereitet hatte, dasselbe Blut, dieselben Schmerzen, und im düsteren Morgenlicht hatte sie gesehen, wie sie ihn fortgeschleppt hatten.
    Ich kann jetzt nicht mehr sterben. Nicht wahr?
    Ramses hatte in der Tür ihres Schlafgemachs gestanden. Sie hatte geweint, eine junge Königin, die Qualen litt. »Aber wie viele Jahre?«
    »Ich weiß nicht. Ich weiß nur, daß du das alles jetzt nicht auf-geben kannst. Du begreifst die Bedeutung dessen nicht, was ich dir anbiete. Darum laß mich gehen. Wende das Wissen an, das ich dir gegeben habe. Ich werde wiederkommen. Sei ge-wiß. Ich werde wiederkehren, wenn du mich am notwendig-sten brauchst. Dann hast du vielleicht deine Liebhaber und deine Kriege und deinen Kummer gehabt und wirst mich willkommen heißen.«
    »Aber ich liebe dich.«
    Das Schlafzimmer im Shepheard lag jetzt in grellem Licht. Die weichen Vorhänge berührten ihr Gesicht, als sie an ihr vorbei-wehten. Sie beugte sich benommen über den Fenstersims.
    »Ramses, ich erinnere mich!«
    Im Kleidergeschäft, der Gesichtsausdruck der Frau! Das schreiende Dienstmädchen. Und der junge Mann, der arme junge Mann, der nach unten gesehen und den Knochen erblickt hatte!
    Ihr Götter, was habt ihr mir angetan!
    Sie drehte sich um und taumelte von dem Licht weg, aber es war überall. Der Spiegel glänzte. Sie sank auf die Knie und preßte die Hände auf den warmen grünen Teppich. Sie warf sich zu Boden, wälzte sich und versuchte, die grausame Macht zu verdrängen, die von ihrem Geist Besitz ergriffen hatte und von ihrem Herzen. Ein gewaltiges Vibrieren hatte sie erfaßt. Sie schwebte im Weltraum. Und schließlich ergab sie sich in die große Schwingung. Das heiße Licht hüllte sie vollkommen ein und sie gewahrte ein orangefarbenes Licht hinter ihren Lidern.

    Elliott saß allein auf der großen Veranda. Die leere Flasche funkelte im Licht der Morgensonne. Er saß bequem in seinem gepolsterten Stuhl und döste und hing seinen Gedanken nach.
    Fasten, Trinken, die lange, schlaflose Nacht, das alles hatte ihm zugesetzt und ihn an den Rand des Wahnsinns getrieben.
    Ihm war, als wäre selbst das Licht am Himmel ein Wunder, als wäre das große silberne Auto, das die

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