Die Mumie
Einfahrt herauffuhr eine Halluzination, ebenso wie der komische grauhaarige Mann, der vom hohen Sitz herunterstieg und jetzt auf ihn zukam.
»Ich war die ganze Nacht bei Winthrop.«
»Mein Beileid.«
»Nun komm, ich habe ein Treffen arrangiert, um halb elf, um alles ins Reine zu bringen. Schaffst du das?«
»Ja, das schaffe ich. Du kannst dich auf mich verlassen. Und Ramsey wird auch dort sein, sofern du… sofern du ihm Immunität zusichern kannst.«
»Vollständig und vollkommen, wenn er eine eidesstattliche Er-klärung gegen Stratford unterschreibt. Du weißt natürlich, daß er letzte Nacht wieder zugeschlagen und ein Geschäft ausge-raubt hat – die Kasse war voller Bargeld. Er hat alles mitgenommen.«
»Hmmmmm. Dreckskerl«, flüsterte Elliott.
»Also, es ist sehr wichtig, daß du von diesem Sessel auf-stehst, ein Bad nimmst, dich rasierst und da bist…«
»Gerald, mein Wort darauf. Ich werde da sein. Halb elf im Bü-
ro des Gouverneurs.«
Friedliche Stille. Das häßliche Auto war weggefahren. Der Junge kam wieder. »Frühstück, Mylord?«
»Bring mir etwas zu essen und Orangensaft dazu. Und ruf gleich im Zimmer meines Sohnes an. Und frag an der Rezeption. Er hat doch sicher eine Nachricht hinterlassen!«
Es war spät am Morgen, als ihr junger Lord schließlich erwachte. Rom war gefallen. Und zweitausend Jahre waren vergangen.
Sie hatte stundenlang am Fenster gesessen, in ein »feines blaues Spitzenkleid« gehüllt, und hatte die moderne Stadt betrachtet. Alle Mosaiksteinchen, die sie gesehen hatte, hatten sich jetzt zu einem Gesamtbild zusammengefügt. Und doch gab es noch so vieles, was sie wissen und verstehen mußte.
Sie hatte gegessen und dafür gesorgt, daß die Diener die Spuren beseitigten. Sie wollte nicht, daß jemand sah, auf welch bestialische Weise sie Unmengen von Nahrungsmitteln verschlungen hatte.
Auf sie wartete jetzt ein schön gedeckter Tisch. Und als er aus dem Schlafzimmer zu ihr kam, flüsterte sie: »So wunderschön.«
»Was ist, Eure Hoheit?« Er bückte sich und küßte sie. Sie schlang die Arme um seine Taille und küßte seine nackte Brust.
»Iß dein Frühstück, mein junger Lord«, sagte sie. »Ich muß so vieles entdecken. So vieles sehen.«
Er setzte sich an den kleinen gedeckten Tisch. Er zündete die Kerzen mit den »Streichhölzern« an.
»Leistest du mir nicht Gesellschaft?«
»Ich habe schon gegessen, mein Geliebter. Kannst du mir die moderne Stadt zeigen? Und kannst du mir die Paläste der Briten zeigen, die dieses Land regieren?«
»Ich werde dir alles zeigen, Eure Hoheit«, sagte er mit demselben offenen Sanftmut.
Sie setzte sich ihm gegenüber.
»Du bist einfach die seltsamste Frau, die ich je gesehen ha-be«, sagte er wieder ohne Spott und Niedertracht. »Du erinnerst mich ein wenig an jemand, den ich kenne, einen sehr rätselhaften Mann… aber das ist nicht wichtig. Warum lächelst du mich so an? Was denkst du?«
»So wunderschön«, flüsterte sie wieder. »Du und das Leben, mein junger Lord. Es ist alles und nichts. So wunderschön.«
Er errötete wie ein Mädchen, legte das silberne Besteck weg, beugte sich über den Tisch und küßte sie wieder.
»Du weinst«, sagte er.
»Ja. Aber ich bin glücklich. Bleib bei mir, junger Lord. Verlaß mich jetzt nicht.«
Er wirkte verblüfft, dann fasziniert. Sie versuchte sich zu erinnern. Hatte sie jemals einen Menschen gekannt, der so zärtlich war? Vielleicht in der Kindheit, als sie die Bedeutung wohl nicht begriff.
»Um nichts in der Welt möchte ich dich verlassen, Hoheit«, sagte er. Wieder schien er einen Moment lang traurig und fast ungläubig. Dann ratlos.
»Und die Oper heute abend, Mylord, sollen wir gemeinsam hingehen? Sollen wir beim Opernball tanzen?«
Ein Leuchten erfüllte seine Augen. »Das wäre wunderbar«, flü-
sterte er.
Sie deutete auf den Teller vor ihm. »Dein Essen, Mylord.«
Er stocherte nach Art der Sterblichen darin hemm. Dann hob er ein Bündel neben dem Teller auf. Er riß die Binde ab und schlug es auf. Es sah aus wie ein dickes Manuskript, das eng beschrieben war.
»Sag mir, was das ist.«
»Nun, eine Zeitung«, sagte er halb lachend. Er warf einen Blick darauf. »Schreckliche Neuigkeiten.«
»Lies laut.«
»Das möchtest du sicher nicht hören. Eine arme Frau in einem Bekleidungsgeschäft mit gebrochenem Genick. Und ein Bild von Ramsey mit Julie. Was für eine Katastrophe!«
Ramses?
»Man spricht von nichts anderem in Kairo, Hoheit. Ich will es dir
Weitere Kostenlose Bücher