Die Mumie
Kleopatra beschützt hatte, dem Mann, den er mochte und in seiner Nähe haben wollte, dem Mann, dessen Rat stets der richtige für ihn gewesen war, dem Mann, für den er eine tiefe Zuneigung empfand, die man fast Liebe nennen konnte.
Julie in den Zug setzen. Wie konnte er das? Seine Gedanken verschwommen. Er sah immer wieder ihr Gesicht. Vernichte das Elixier. Stelle das Elixier nie wieder her.
Er dachte an die Schlagzeile in der Zeitung. Frau auf dem Boden des Bekleidungsgeschäfts. Ich töte gern. Es lindert meine Schmerzen.
Elliott schlief in dem altmodischen viktorianischen Bett in seiner Suite. Er träumte von Lawrence. Sie unterhielten sich im Babylon, und Malenka tanzte, und Lawrence sagte: Es ist fast Zeit für dich zu kommen.
Aber ich muß nach Hause zu Edith. Ich muß mich um Alex kümmern, hatte er gesagt. Ich möchte mich in der Heimat zu Tode trinken. Das habe ich schon geplant.
Ich weiß, sagte Lawrence, das habe ich gemeint. Es wird nicht mehr lange dauern.
Miles Winthrop wußte nicht, was er von all dem halten sollte.
Sie hatten einen Haftbefehl gegen Henry erlassen, aber im Augenblick deutete offen gesagt alles darauf hin, daß der Dreckskerl tot war. Kleidung, Geld, Ausweis, alles dort, wo Malenka ermordet worden war. Und es war unmöglich zu sagen, wann die Ladenbesitzerin getötet worden war.
Er hatte so eine Ahnung, daß dieser Fall vielleicht niemals auf-geklärt werden würde.
Er konnte nur dankbar dafür sein, daß Lord Rutherford nicht sein erklärter Feind geworden war. Ein solches Stigma hätte sich nie wieder abschütteln lassen.
Wenigstens war der heutige Tag bisher friedlich verlaufen.
Keine gräßlichen Leichen, die mit gebrochenem Genick auf der Bahre lagen und ins Leere starrten und zu sagen schienen: Möchtest du den nicht finden, der mir das angetan hat?
Ihm graute vor der Oper heute abend, vor den endlosen Fragen, die er von den britischen Bürgern zu hören bekommen würde. Und er wußte, er konnte sich nicht hinter Lord Rutherford verstecken. Im Gegenteil, ihm graute vor einem neuerli-chen Zusammentreffen. Er würde für sich bleiben.
Sieben Uhr.
Julie stand vor dem Spiegel im Wohnzimmer. Sie hatte das Kleid mit dem tiefen Ausschnitt angezogen, das, das Ramses so sehr aus der Fassung gebracht hatte. Aber sie hatte kein anderes für diesen sinnlosen Ball. Sie beobachtete im Spiegel, wie Elliott ihre Perlenkette im Nacken zuknöpfte.
Elliott sah fast immer besser aus als die anderen um ihn herum Schlank und mit fünfundfünfzig immer noch stattlich, trug er die weiße Fliege und den Frack so natürlich, als wäre er damit auf die Welt gekommen.
Irgendwie fand sie es schrecklich, daß sie alle so tun konnten, als wäre nichts geschehen. Sie hätten ebenso gut in London sein können. Ägypten war plötzlich zum Alptraum geworden, aber Julie war noch nicht bereit, aufzuwachen.
»Und jetzt haben wir uns herausgeputzt«, sagte sie, »und sind gerüstet für unseren rituellen Tanz.«
»Vergiß nicht, bis er gefaßt wird, was nie geschieht, haben wir das Recht, von seiner Unschuld überzeugt zu sein. Wir können so tun, als wäre nichts geschehen.«
»Das ist schrecklich, und das weißt du sehr genau.«
»Es muß sein.«
»Für Alex, ja. Und Alex hat es den ganzen Tag nicht für nötig gehalten, uns anzurufen. Was mich betrifft, mir ist das einerlei.«
»Du mußt nach London zurückkehren«, sagte er. »Ich möchte, daß du nach London zurückkehrst.«
»Ich habe dich immer geliebt«, sagte sie. »Du bist immer wie mein eigen Fleisch und Blut gewesen. Aber mir ist es gleichgültig, was du willst.« Sie drehte sich zu ihm um.
Aus der Nähe sah sie, daß nicht alles spurlos an ihm vorbeige-gangen war. Er war plötzlich gealtert, wie Randolph, als er von Lawrences Tod erfahren hatte. Er war schön wie immer, aber jetzt hatte er etwas Tragisches an sich. Das alte Funkeln in seinen Augen war einer Traurigkeit gewichen.
»Ich kann nicht nach London zurückfahren«, sagte sie. »Aber ich sorge dafür, daß Alex in den Zug steigt.«
Vernichte das Elixier. Er stand vor dem Spiegel. Er war fast fertig angezogen, hatte die Kleidungsstücke aus dem Über-seekoffer von Lawrence Stratford angelegt – die glänzenden schwarzen Hosen, Schuhe, Gürtel. Von der Taille aufwärts war er nackt, als er sein Spiegelbild betrachtete. Den Geldgürtel hatte er seit der Abreise aus London umgeschnallt. Und die Phiolen leuchteten in ihren Stoffflaschen.
Vernichte das Elixier. Benütze
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