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Die Mumie

Die Mumie

Titel: Die Mumie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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beobachtete, wie jetzt alle die breite Treppe hinauf schritten. Sie spürte die bewundernden Blicke der anderen; der sanfte Schimmer der Bewunderung war wie ein Leuchten auf ihrer Haut.
    Lord Summerfield strahlte sie voll Stolz und Zuneigung an.
    »Du bist die Königin hier«, flüsterte er, und seine Wangen er-röteten wieder für einen Augenblick. Er drehte sich zu einem der Händler um, der seltsame kleine Instramente verkaufte, deren Zweck sie nicht erraten konnte.
    »Operngläser«, sagte er und gab ihr eines. »Und das Pro-gramm, bitte.«
    »Aber was ist das?« fragte sie.
    Er lachte kurz und verblüfft. »Du bist tatsächlich vom Himmel gefallen, stimmt’s?« Seine Lippen berührten ihren Hals, dann ihre Wange. »Halt es an die Augen und drehe daran, bis alles scharf ist. Ja, so. Siehst du?«
    Sie erschrak. Sie wich zurück, weil die Menschen auf der oberen Galerie plötzlich ganz nahe schienen.
    »Welch seltsames Gerät. Wie funktioniert es?«
    »Vergrößerung«, sagte er. »Glasstücke.« Wie entzückt er schien, daß sie noch nie davon gehört hatte. Sie fragte sich, wie Ramses all diese kleinen Geheimnisse gemeistert hatte.
    Ramses, dessen »geheimnisvolles Grab« der arme Lawrence, der jetzt tot war, erst vor einem Monat entdeckt hatte. Ramses, der »in den Schriftrollen« seine Liebe zu Kleopatra gestanden hatte. War es wirklich möglich, daß Alex nicht wußte, daß diese Mumie und seine Heimsuchung ein und dieselbe waren?
    Aber wie hätte er es wissen sollen? Es gab nur die schwach-sinnige Geschichte vom ehrlosen Cousin, der die beiden verband! Hatte sie es geglaubt, als der alte Priester sie in die Höhle geführt hatte?
    Klingeln tönten. »Die Oper fängt gleich an.«
    Sie gingen gemeinsam die Treppe hinauf. Ihr schien, als wä-
    ren sie beide von einem gleißenden Licht umgeben, das sie von allen anderen unterschied. Auch die anderen konnten dieses Licht sehen, sie senkten die Blicke demütig und wuß-
    ten, es war Liebe. Liebe. Sie liebte ihn. Nicht mit dieser Liebe, die sie für Antonius empfunden hatte. Es war kein Taumel durch Dunkelheit und Zerstörung, weil man dem anderen nicht widerstehen kann, nicht mit ihm und nicht ohne ihn leben kann, und man trotzdem weiter macht und genau weiß, daß man daran zugrunde geht.
    Nein, dies war eine neugeborene Liebe, neu und zärtlich wie Alex selbst, aber es war Liebe. Julie Stratford war eine Närrin, ihn nicht zu lieben. Aber Ramses hätte die Göttin Isis verführen können. Wäre Antonius nicht gewesen, hätte sie nie einen anderen als Ramses geliebt. Das hatte er immer gewußt.
    Ramses der Vater, der Richter, der Lehrmeister. Antonius, der böse Bube, mit dem sie durchgebrannt war. Wie Kinder hatten sie im königlichen Schlafgemach gespielt, betrunken, verrückt, für niemanden zu sprechen, bis Ramses nach vielen Jahren zurückgekommen war.
    Das hast du also mit deiner Freiheit gemacht? Mit deinem Leben?

    Sie fragte sich, was sie jetzt mit ihrer Freiheit machen würde.
    Warum verkrüppelte der Schmerz sie nicht? Weil diese neugeborene Welt zu wunderbar war. Weil sie hatte, wovon sie in den letzten Monaten vor dem Einzug der römischen Armeen in Ägypten, als Antonius verzweifelt und voller Selbsttäuschung gewesen war, geträumt hatte: eine zweite Chance. Eine zweite Chance ohne die Last einer Liebe, die sie für ewig in diese dunklen Wellen hinabzog, eine zweite Chance ohne Haß auf Ramses, der ihren zum Tode verdammten Geliebten nicht gerettet hatte, der ihr nicht verziehen hatte, daß sie selbst verdammt gewesen war.
    »Hoheit, ich verliere dich wieder«, sagte er zärtlich.
    »Nein«, sagte sie. Die Lichter um sie herum verschwammen.
    »Ich bin bei dir, Lord Alex.« In den hohen kristallenen Lichtern über ihnen tanzten Regenbogen. Sie vernahm das leise Klirren von Glas, das sich in der Brise, die von den offenen Türen herwehte, bewegte.
    »Da, sieh doch, da sind sie ja!« rief Alex plötzlich und deutete nach oben.
    Der Lärm um sie herum verstummte. Die Lichter, die Menschen, die verhaltene gemeinsame Erregung. Da stand Ramses.
    Ramses in moderner Kleidung, und neben ihm eine Frau von beachtlicher Schönheit, jung und zerbrechlich wie Alex. Sie hatte ihr kastanienfarbenes Haar aus dem Gesicht gekämmt.
    Sie sah das Aufblitzen dunkler Augen, als sie über sie hinweg sah, ohne sie zu sehen. Und Lord Rutherford, der gute alte Lord Rutherford, der sich auf seinen silbernen Gehstock stütz-te. Hielt Ramsey die Sterblichen um sich herum

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