Die Mumie
drei Ausgänge, die über Eisentreppen aus dem Gebäude hinausführten. Und benützt wurden sie alle. Er rannte an der Galerie entlang und ließ seinen Blick über die Köpfe derer streifen, die die breite Haupttreppe hinuntergingen. Keine Chance mehr, sie jetzt noch zu finden.
Er war am Eingang, als Elliott, Samir und Julie die Treppe her-unterkamen. Julie sah wie ein Gespenst aus. Sie klammerte sich an Samir. Elliott bemühte sich durchzuhalten, aber sein Gesicht war totenblaß geworden.
»Zu spät«, sagte Ramses. »Sie sind wieder entkommen.«
»Dann bleibt uns nur noch der Ball«, sagte Elliott. »Es ist ein Spiel, begreift ihr denn nicht! Alex versteht nicht, was los ist.
Er hat geschrieben, er würde sich hier mit uns treffen, oder auf dem Ball.«
Sie waren dem Strom der Besucher gefolgt, der sich aus dem Opernhaus ergossen hatte und jetzt über den großen Platz zum Hotel ging.
Sie zweifelte nicht daran, daß Ramses ihnen folgen würde.
Gewiß würde auch Lord Rutherford kommen, weil er hoffte, seinen Sohn zu retten.
Sie traf keine Entscheidung über ihr weiteres Vorgehen. Die Begegnung war unvermeidlich. Worte mußten gesprochen werden, und dann? Sie sah nur die Freiheit, aber sie wußte auch, wohin sie gehen und was sie tun mußte, um frei zu sein.
Die andere zu töten, das war keine Lösung. Ein großer Ekel überkam sie angesichts der Leben, die sie sinnlos ausgelöscht hatte – sogar das des Mannes, der die Pistole auf sie abge-feuert hatte, wer immer er auch gewesen sein mochte.
Sie mußte herausfinden, warum Ramses sie geweckt hatte, und wie er sie geweckt hatte. Aber vielleicht wäre sie besser weggelaufen, vor ihm weggelaufen.
Sie betrachtete die Automobile, die in die halbkreisförmige Einfahrt vor dem Shepheard Hotel einbogen. Warum konnten sie nicht weglaufen, sie und Alex, jetzt gleich? Sie hatte noch Zeit genug, noch soviel Zeit, ihren alten Lehrmeister zu suchen, den Mann, der sie ihr ganzes sterbliches Leben lang beherrscht hatte und der sie nun aus Gründen, die sie nicht verstehen konnte, wieder zum Leben erweckt hatte?
Einen Augenblick lang wurde sie von einer grausigen Vorahnung heimgesucht. Sie umklammerte Alex’ Hand noch fester.
Da war wieder sein beruhigendes Lächeln. Sie sagte nichts.
Sie war verwirrt, als sie die hell erleuchtete Hotelhalle betraten und hinter der Menge eine weitere Treppe hinaufschritten.
Der Ballsaal lag im ersten Stock. Er war viel größer als der Ballsaal, den sie gestern abend unten gesehen hatte. Weiß-
gedeckte Tische säumten die Wände des Saals, der unendlich groß schien. Ein Orchester, das hinter der wogenden Menge verborgen war, spielte Musik.
Goldgirlanden hingen von der hohen Decke. Wie diese Menschen Gipsornamente liebten, mit denen sie Türen und Fenster schmückten. Schon hatten sich einige Paare auf die Tanzfläche begeben. Das Licht schien von den großen funkelnden Glasleuchten zu tropfen. Junge Diener schritten herum und boten Weißwein in schönen Gläsern auf silbernen Tabletts an.
»Wie sollen wir sie nur finden?« sagte Alex. »Ich brenne darauf, dich ihnen vorzustellen.«
»Wirklich?« flüsterte sie. »Und wenn sie deine Wahl mißbilligen, Lord Alex, was wirst du dann machen?«
»Wie seltsam, so etwas zu sagen«, meinte er mit seiner ihm eigenen Unschuld. »Sie werden sie nicht mißbilligen und au-
ßerdem können sie sie gar nicht mißbilligen.«
»Ich liebe dich, Lord Alex. Ich hielt es nicht für möglich, als ich dich zum ersten Mal gesehen habe. Ich dachte, du bist hübsch und jung und es müßte schön sein, dich in den Armen zu halten. Aber ich liebe dich.«
»Ich weiß genau, was du damit sagen willst«, flüsterte er mit einem seltsamen Ausdruck in den Augen. »Überrascht dich das?« Es schien, als wollte er etwas anderes zu ihr sagen, für das er aber nicht die Worte fand. Die Traurigkeit kam, ein schwacher Schatten von Traurigkeit, die sie von Anfang an in ihm bemerkt hatte, und zum ersten Mal wurde ihr klar, daß sie es war, die diese Traurigkeit hervorrief. Sie war die Reaktion auf das, was er in ihrem Gesicht sah.
Jemand rief seinen Namen. Sein Vater rief. Sie erkannte die Stimme, bevor sie sich umdrehte, um sich zu vergewissern.
»Vergiß nicht, Alex, ich liebe dich«, sagte sie wieder. Sie hatte das seltsame Gefühl, daß sie Lebewohl sagte. Zu unschuldig, das waren die einzigen Worte, die ihr in den Sinn kamen.
Sie drehte sich um und sah, wie sie alle von der offenen Tür auf sie zu
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