Die Mumie
einen Grund!« sagte die giftige Stimme in ihr Ohr.
Plötzlich ließ die Hand sie los. Sie kippte keuchend nach vorne über den Toilettentisch.
»Ramses!« schrie sie mit letzter Kraft. »Ramses!«
Die Tür ging auf. Zwei Frauen blieben wie angewurzelt stehen.
Neben ihr erhob sich Kleopatra, die jetzt an den Frauen vorbeiraste und eine davon zur Seite stieß. Das wallende schwarze Haar und das glitzernde Abendkleid waren alles, was noch zu sehen war, bevor sie verschwunden war.
Julie fiel schluchzend zu Boden.
Sie hörte Schreie und hastige Schritte. Eine alte Frau mit weichen, runzligen Händen half ihr auf die Beine.
»Ich muß zu Ramses«, sagte sie. Sie kämpfte sich zur Tür.
Die anderen Frauen versuchten, sie aufzuhalten. Sie sollte sich setzen. »Hier, ein Glas Wasser!«
»Nein, lassen Sie mich gehen!«
Schließlich gelangte sie zur Tür und drängte sich durch die kleine Gruppe der versammelten Schaulustigen. Ramses kam auf sie zugeeilt. In seinen Armen brach sie zusammen.
»Sie war hier«, keuchte sie ihm ins Ohr. »Sie hat mit mir gesprochen. Mich berührt.« Sie griff mit der Hand zum schmer-zenden Hals. »Sie ist weggelaufen, als wir gestört wurden.«
»Was ist denn, Miss?«
»Miss Stratford, was ist geschehen?«
»Nein, mir geht es gut.« Er hob sie fast von den Füßen und brachte sie weg.
»Ja, ich habe nur eine andere Frau bei ihr gesehen, ja, eine große Frau mit schwarzem Haar.«
In eine Loge führte er sie, in ein stilles, abgeschiedenes Plätzchen. Sie versuchte wieder klar zu sehen. Elliott und Samir standen plötzlich da. Die Musik klang abscheulich durch die Vorhänge. Samir schenkte ihr ein Glas Champagner ein. Wie absurd! Champagner.
»Hier irgendwo im Theater. Großer Gott, sie war wie eine Fu-rie! Eine Göttin! Ramses, sie hat mich gekannt, meinen Namen. Sie hat mich gekannt. Sie sprach von Rache für Antonius. Ramses, sie weiß, wer ich bin!«
Sein Gesicht war wutverzerrt. Er wollte zur Tür hinaus, sie packte ihn und stieß dabei das Champagnerglas um. »Nein, geh nicht! Weich nicht von meiner Seite!« flüsterte sie. »Sie hätte mich umbringen können. Das wollte sie. Aber sie konnte es nicht. Ramses! Sie ist ein lebendes, fühlendes Geschöpf! O
Gott, was hast du getan, was habe ich getan!«
Eine Klingel ertönte. Die Menschen strömten in die Halle. Und Alex würde nach ihr suchen, und vielleicht würde er die anderen treffen. Sie konnte nicht klar denken. Sie konnte sich nicht bewegen.
Sie stand auf dem hohen Eisenbalkon über der Eisentreppe, die in eine dunkle, verlassene Gasse hinabführte. Die offene Tür zu ihrer Rechten gab den Blick frei auf Lichter und Lärm.
Die Stadt war ein Irrgarten voller Lichter und Dächer, voller glänzender Kuppeln und Türme, die sich in den dunkelblauen Himmel bohrten. Von hier aus konnte sie den Nil nicht sehen, aber das bedeutete ihr nichts. Die Luft war kühl und mild, er-füllt vom Duft der grünen Bäume.
Plötzlich hörte sie seine Stimme.
»Eure Hoheit, ich habe überall nach dir gesucht.«
»Halt mich fest, Alex«, flüsterte sie. »Halt mich in deinen Armen.« Sie holte tief Luft, als sie ihn in ihrer Nähe spürte, seine warmen Hände auf ihr. Sanft zog er sie zurück und auf die Eisenstufen.
»Du bist krank«, sagte er. »Ich muß dir etwas zu trinken holen.«
»Nein, bleib in meiner Nähe«, sagte sie. Sie wußte, ihre Stimme war kaum hörbar. Fast verzweifelt sah sie zu den Lichtern der Stadt hinaus. Irgendwie wollte sie sich an dieses Bild der modernen Stadt klammern, wollte sich im Geiste auf sie zu bewegen, heraus aus ihrer Qual. Es war ihre einzige Flucht-möglichkeit. Das und der Junge neben ihr, der saubere, unschuldige Mann, der sie hielt und küßte.
»Was mache ich nur?« fragte sie auf lateinisch. »Verspüre ich Trauer oder Wut? Ich weiß nur, daß ich leide.«
Sie quälte ihn, obwohl es ihr leid tat. Hatte er ihre Worte verstanden?
»Öffne mir dein Herz«, sagte er ernst. »Ich liebe dich, Hoheit.
Sag mir, was dich beschäftigt. Ich lasse nicht zu, daß du leidest. Nicht, wenn es in meiner Macht steht, es zu ändern.«
»Ich glaube dir, junger Lord«, sagte sie. »Auch ich empfinde Liebe für dich.«
Aber was wollte sie? Würde Rache die Wut lindern, die sie zerriß? Oder sollte sie jetzt gehen, den jungen Lord Alex mitnehmen und so weit sie konnte von ihrem Mentor, ihrem Schöpfer davonlaufen? Einen Augenblick schien es, als würde der Schmerz in ihr alles verzehren – Denken, Hoffen,
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