Die Mumie
vom Wintergarten herein und warf sein zartes tanzendes Muster auf die goldene Ge-sichtsmaske des Königs und seine überkreuzten Arme.
Prunkvoll war er, und offensichtlich echt. Nur ein Narr konnte so einen Schatz in Frage stellen. Aber was hatte die ganze Geschichte zu bedeuten?
Wenn sie nur alle fort wären, dachte Julie, damit sie allein be-gutachten konnte. Aber die Männer würden ewig hier sein und den Fund untersuchen. Und Alex, was sollte sie mit Alex machen, der neben ihr stand und sie nicht einen Augenblick allein ließ?
So sehr sie sich gefreut hatte, Samir zu sehen, so sehr schmerzte es sie zu sehen, wie sehr er litt.
Und in seinem schwarzen Anzug und dem gestärkten Hemd sah er so steif und unbehaglich aus. In einem Seidengewand seiner Heimat war er ein Prinz mit dunklen Augen, fernab von der stumpfen Routine dieses lärmenden Jahrhunderts mit seinem hektischen Fortschrittswahn. Hier wirkte er fremd und fast unterwürfig, obwohl er die Arbeiter so herrisch herumkom-mandierte.
Alex betrachtete die Arbeiter und die Fundgegenstände mit dem seltsamsten Gesichtsausdruck. Warum wohl? Diese Sachen hatten nichts mit ihm zu tun, sondern mit einer anderen Welt. Aber fand er sie nicht wunderschön? Es fiel ihr sehr schwer, ihn zu verstehen.
»Ich frage mich, ob es einen Fluch gibt«, flüsterte er leise.
»Oh, bitte, mach dich nicht lächerlich«, antwortete Julie. »Sie werden hier noch eine Weile arbeiten. Warum gehen wir nicht in den Wintergarten zurück und trinken Tee?«
»Ja, das ist eine gute Idee«, sagte er. Sein Gesicht drückte doch Mißfallen aus, oder etwa nicht? Nicht Verwirrung. Er empfand nichts für diese Schätze. Sie waren ihm fremd und bedeuteten ihm nichts. Sie hätte vielleicht ebenso empfunden beim Anblick einer Maschine, die sie nicht verstand.
Es stimmte sie traurig. Aber momentan stimmte sie alles traurig – am meisten, daß ihr Vater so wenig Zeit mit diesen vielen Schätzen gehabt hatte, daß er am Tag seiner größten Entdek-kung gestorben war. Und daß sie diejenige war, die jeden einzelnen Gegenstand, den er in diesem geheimnisvollen Grab entdeckt hatte, ansehen mußte.
Vielleicht würde Alex nach dem Tee verstehen, daß sie allein sein wollte. Sie führte ihn durch den Flur, an den Doppeltüren der Salons und den Türen der Bibliothek vorbei und durch den Marmoralkoven in den Glasbau mit Farnen und Blumen, der die gesamte Rückseite des Hauses säumte.
Das war Vaters Lieblingsplatz gewesen, wenn er sich nicht in der Bibliothek aufgehalten hatte. Es war kein Zufall, daß sich sein Schreibtisch und seine Bücher nur ein paar Schritte hinter der Glastür befanden.
Sie setzten sich gemeinsam an den Korbtisch. Die Sonne spiegelte sich im Silberservice vor ihnen.
»Schenk du ein, mein Lieber«, sagte sie zu Alex. Sie tat den Kuchen auf die Teller. Nun hatte er etwas zu tun, das er verstand. Hatte sie jemals einen Menschen gekannt, der alle Kleinigkeiten so gut erledigen konnte? Alex konnte reiten, tanzen, schießen, Tee eingießen, köstliche amerikanische Cock-tails mixen und sich dem Protokoll des Buckingham-Palastes anpassen, ohne mit der Wimper zu zucken. Er konnte ein Gedicht mit soviel Gefühl vortragen, daß sie weinen mußte. Er konnte auch sehr gut küssen, und es bestand kein Zweifel daran, daß eine Ehe mit ihm viele sinnliche Augenblicke haben würde. Daran bestand kein Zweifel. Aber was hatte eine Ehe mit ihm sonst noch zu bieten?
Plötzlich kam sie sich egoistisch vor. Reichte das etwa noch nicht aus? Ihrem Vater, einem Geschäftsmann, dessen Manieren sich in nichts von denen seiner aristokratischen Freunde unterschieden, hatte es nicht gereicht. Es hatte ihm überhaupt nichts bedeutet.
»Trink, Darling, es wird dir guttun«, sagte Alex und hielt ihr den Tee hin, wie sie ihn gerne hatte. Ohne Milch, ohne Zuk-ker. Nur mit einer dünnen Zitronenscheibe.
Es schien, als hätte sich das Licht um sie herum verändert; sie spürte einen Schatten. Sie sah auf und stellte fest, daß Samir leise den Raum betreten hatte.
»Samir. Setzen Sie sich. Leisten Sie uns Gesellschaft.«
Er bedeutete ihr zu bleiben, wo sie war. Er hielt ein ledergebundenes Buch in den Händen.
»Julie«, sagte er mit einem langsamen und bedeutenden Blick in Richtung des Ägyptischen Zimmers, »ich habe Ihnen das Notizbuch Ihres Vaters gebracht. Ich wollte es nicht den Leuten vom Museum geben.«
»Damit machen Sie mir eine große Freude. Bitte setzen Sie sich zu uns.«
»Nein, ich muß mich
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