Die Mumie
verplempert hat.«
Wie weh ihr seine Worte taten. So achtlos, und doch so voller Haß. Er verweilte vor einem Gefäß und drehte ihr den Rücken zu. Sie sah im Spiegel, wie er es stirnrunzelnd betrachtete.
»Es war sein Geld, oder nicht?« fragte sie. »Er hat genug für uns alle verdient. Hat er jedenfalls gedacht.«
Er drehte sich unvermittelt um.
»Was soll das heißen?«
»Nun, du hast deins nicht besonders gut verwaltet, hab ich recht?«
»Ich habe das Beste getan. Wer bist du, daß du über mich richtest?« fragte er. Als das Sonnenlicht plötzlich sein Gesicht beleuchtete, sah er unfaßbar gemein und tückisch aus.
»Und was ist mit den Aktionären von Stratford Shipping? Hast du für die auch das Beste getan? Oder steht mir auch darüber kein Urteil zu?«
»Sei vorsichtig, Mädchen«, sagte er. Er kam näher. Er warf der Mumie einen arroganten Seitenblick zu, als wäre sie ein weiterer Anwesender, eine Person. Dann drehte er die Schultern ein wenig zu ihr und betrachtete sie mit zusammengeknif-fenen Augen. »Vater und ich sind jetzt deine Familie. Du brauchst uns vielleicht mehr, als du denkst. Was verstehst du denn schon vom Geschäft und von Schiffen?«
Wie seltsam. Er hatte ein gutes Argument vorgebracht und es dann selbst ruiniert. Sie brauchte sie beide, aber das hatte nichts mit Geschäften und Schiffen zu tun. Sie brauchte sie, weil sie ihr Fleisch und Blut waren, und zum Teufel mit Geschäft und Schiffen.
Sie wollte nicht, daß er ihren Schmerz sah. Sie wandte sich ab und sah durch die beiden Salons zu den blassen Nordfenstern des Hauses hinüber, wo es noch nicht hell geworden war.
»Ich weiß, wieviel zwei und zwei ist, teuerster Cousin«, sagte sie. »Und das hat mich in eine sehr peinliche und schmerzliche Position gebracht.«
Sie sah erleichtert, daß Rita mit dem schweren Silbertablett hereintrat. Auf dem Mitteltisch im hinteren Salon stellte sie es, nur wenige Schritte von Julie entfernt, ab.
»Danke, Rita. Das ist momentan alles.«
Rita zog sich mit einem vielsagenden Blick auf das Ding im Sarg zurück. Und Julie war wieder allein in dieser überaus peinlichen Situation. Sie drehte sich langsam um und stellte fest, daß ihr Cousin direkt vor Ramses stand.
»Dann sollte ich gleich zur Sache kommen«, sagte er und drehte sich zu ihr um. Er lockerte die Seidenkrawatte, zog sie aus und stopfte sie in die Tasche. Sein Gang war fast schlurfend, als er auf sie zukam.
»Ich weiß, was du willst«, sagte sie. »Ich weiß, was du und Onkel Randolph wollt. Und noch wichtiger, ich weiß, was ihr beide braucht. Was Vater dir hinterlassen hat, deckt deine Schulden nicht einmal annähernd. Herrgott, was du für ein Schlamassel angerichtet hast.«
»Wie scheinheilig«, sagte Henry. Er war nur noch einen Schritt von ihr entfernt und hatte der strahlenden Sonne und der Mumie den Rücken zugekehrt. »Die Suffragette, die kleine Ar-chäologin. Und jetzt versuchst du dich als Geschäftsfrau, stimmt’s?«
»Ich versuche es«, sagte sie kalt. Sein Zorn entfachte den ihren. »Was bleibt mir anderes übrig?« fragte sie. »Alles deinem Vater durch die Hände rinnen lassen? Herrgott, du tust mir leid!«
»Was willst du damit sagen?« fragte er. Sein Atem stank nach Fusel, auf seinem Gesicht zeichneten sich rauhe Bartstoppeln ab. »Daß du um unseren Rücktritt bittest? Ist es das?«
»Das weiß ich noch nicht.« Sie drehte ihm den Rücken zu. Sie ging in den ersten Salon und öffnete den kleinen Sekretär. Sie nahm davor Platz und zog das Scheckbuch heraus. Und schraubte den Füller auf.
Sie hörte, wie er hinter ihr auf und ab schritt, während sie den Scheck ausstellte.
»Sag mir, Cousinchen, ist es schön, wenn man mehr hat, als man je ausgeben kann, mehr als man je zählen kann? Und wenn man nichts getan hat, um es zu verdienen?«
Mit gesenktem Blick drehte sie sich um und reichte ihm den Scheck. Sie stand auf und ging zum Fenster. Sie hob den Spitzen-Vorhang und sah auf die Straße hinaus. Bitte geh weg, Henry, dachte sie niedergeschlagen und traurig. Sie wollte ihrem Onkel nicht weh tun. Sie wollte niemandem weh tun.
Aber was konnte sie machen? Sie wußte seit Jahren von Randolphs Unterschlagungen. Sie und ihr Vater hatten dar-
über gesprochen, als sie das letzte Mal in Kairo gewesen war.
Natürlich hatte er vorgehabt, die Situation zu bereinigen, vorgehabt. Und nun lag es an ihr.
Sie drehte sich plötzlich um. Die Stille war ihr unbehaglich. Sie sah ihren Cousin im Ägyptischen
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