Die Mumie
das allein war eine sensationelle Entdeckung.
»Aber das ist keine Gruft«, flüsterte er.
Da stand ein Schreibtisch, mit einer dünnen Staubschicht bedeckt, der so aussah, als hätte ihn der Gelehrte gerade eben verlassen. Darauf lagen eine offene Papyrusrolle sowie ge-spitzte Stifte und eine Tuscheflasche. Und ein Kelch.
Aber die Büste – die Marmorbüste -, die war ohne Zweifel griechisch-römisch. Eine Frau, deren dichtes, lockiges Haar von einem metallenen Reif gehalten wurde, deren schläfrige Augen mit den halb geschlossenen Lidern wie blind wirkten und deren Name in den Sockel gemeißelt war: KLEOPATRA
»Unmöglich«, hörte er Samir sagen. »Aber sehen Sie doch, Lawrence, der Sarkophag der Mumie!«
Lawrence hatte ihn schon gesehen. Er betrachtete sprachlos dieses Ding, das friedlich genau in der Mitte dieses rätselhaften Raums, dieses Arbeitszimmers, dieser Bibliothek mit ihren Schriftrollenstapeln und dem staubigen Schreibtisch stand.
Samir befahl den Fotografen noch einmal, zurückzubleiben.
Die rauchenden Blitzlichter machten Lawrence wahnsinnig.
»Gehen Sie hinaus, alle, hinaus!« schrie Lawrence. Sie zogen sich murrend zurück und ließen die beiden Männer in fas-sungslosem Schweigen stehen.
Samir sprach als erster:
»Das ist römisches Mobiliar. Das ist Kleopatra. Und sehen Sie die Münzen auf dem Tisch, Lawrence. Mit ihrem Bild, frisch geprägt. Die allein sind so wertvoll…«
»Ich weiß. Aber da ruht ein uralter Pharao, mein Freund. Jedes Stückchen dieses Grabs ist so kostbar wie bei allen, die im Tal der Könige gefunden wurden.«
»Aber ohne Sarkophag«, sagte Samir.
»Warum?«
»Dies ist kein Grab«, antwortete Lawrence.
»Und der König hat beschlossen, sich hier begraben zu lassen!« Samir näherte sich dem Sarkophag, hob die Fackel hoch über das wunderschön bemalte Antlitz mit seinen dunkel umrandeten Augen und den fein modellierten Lippen.
»Ich könnte schwören, dies ist die Römerzeit«, sagte er.
»Aber der Stil…«
»Lawrence, sie ist zu lebensähnlich. Es handelt sich um einen römischen Künstler, der den Stil der neunzehnten Dynastie perfekt kopiert hat.«
»Und wie sollte das vor sich gehen, mein Freund?«
»Flüche«, flüsterte Samir, als hätte er die Frage nicht gehört.
Er betrachtete die Reihen der Hieroglyphen um die bemalte Figur herum. Die griechischen Schriftzeichen begannen weiter unten, schließlich die lateinischen.
»›Berührt nicht die Überreste von Ramses dem Großen‹«, las Samir. »Dasselbe in allen drei Sprachen. Das sollte ausreichen, einen vernünftigen Menschen zum Nachdenken anzure-gen.«
»Aber nicht diesen vernünftigen Menschen«, antwortete Lawrence. »Bringen Sie unverzüglich die Arbeiter herein, damit sie den Deckel heben.«
Der Staub hatte sich etwas gelegt. Die Fackeln in den alten Eisenhalterungen an den Wänden erzeugten viel zuviel Rauch, doch darum würde er sich später Gedanken machen.
Wichtig war momentan nur, den eingewickelten Körper aufzu-schneiden, der an die Wand gelehnt worden war, und der dünne Holzdeckel des Sargs unmittelbar daneben.
Die Männer und Frauen, die sich am Eingang drängten und ihn und seinen Fund stumm betrachteten, hatte er längst vergessen.
Langsam hob er das Messer und schnitt durch die spröde Schicht aus trockenem Leinen, die auseinanderfiel und den Blick auf die fest eingemummte Gestalt darunter freigab.
Die Reporter stießen einen Seufzer aus. Unzählige Blitzlichter leuchteten auf. Lawrence konnte Samirs Schweigen fühlen.
Beide Männer betrachteten das hagere Gesicht unter den ver-gilbten Leinenbandagen, die welken Arme, die so feierlich über der Brust gekreuzt waren.
Es schien, als begehrte noch ein Reporter Einlaß in die Kammer. Samir forderte wütend Ruhe. Aber diese Ablenkungen bekam Lawrence nur am Rande mit.
Er studierte ruhig die ausgemergelte Gestalt vor sich, deren Bandagen die Farbe von dunklem Wüstensand hatten. Ihm war, als könnte er einen Ausdruck der verhüllten Gesichtszüge erkennen. Er sah etwas, das Verzückung gleichkam, in der Form der schmalen Lippen.
Jede Mumie war ein Geheimnis. Jede ausgestrocknete, aber erhaltene Gestalt ein abscheuliches Bildnis vom Leben im Tod. Er bekam jedes Mal eine Gänsehaut, wenn er diese uralten ägyptischen Toten betrachtete. Aber er verspürte ein seltsames Sehnen, als er diese studierte – dieses geheimnisvolle Wesen, das sich Ramses der Verdammte nannte, Ramses der Große.
Tief im Innern spürte er etwas
Weitere Kostenlose Bücher