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Die Mumie

Die Mumie

Titel: Die Mumie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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seinem Schreibtisch und dachte nach.
    Es war nach zwei, Sergeant Galton war schon lange nach Hause gegangen. Er selbst war müde. Trotzdem konnte er nicht aufhören, an diesen merkwürdigen Fall zu denken, zu dem nun auch ein Mord gehörte.
    Er hatte sich nie daran gewöhnt, Leichen zu untersuchen. Und doch hatte er sich den Leichnam von Tommy Sharples aus einem wichtigen Grund in der Leichenhalle angesehen. Eine seltene griechische Münze war in Sharples’ Tasche gefunden worden, eine Münze, die mit den »Kleopatra-Münzen« in der Stratford-Sammlung identisch war. Zudem hatte Sharples ein kleines Adreßbuch bei sich gehabt, in dem auch Name und Anschrift von Henry Stratford standen.

    Henry Stratford, der heute morgen schreiend aus dem Haus seiner Cousine geflohen war und behaupte hatte, eine Mumie wäre aus ihrem Sarg gestiegen.
    Ein Rätsel.
    Daß Henry Stratford eine seltene Münze der Kleopatra besaß, hätte niemanden überrascht. Erst vor zwei Tagen hatte er versucht, eine solche Münze zu verkaufen, das war fast sicher.
    Aber warum sollte er versucht haben, seine Schulden mit einem solch wertvollen Stück zu bezahlen? Und warum hatte der Dieb, der Sharples ermordet hatte, sie nicht gestohlen?
    Trent hatte vor, am nächsten Morgen als erstes das Britische Museum wegen der Münze anzurufen. Das hieß, nachdem er Stratford aus dem Bett geworfen und wegen des Mordes an Sharples verhört hatte.
    Aber trotzdem ergab die ganze Angelegenheit keinen Sinn.
    Und dann war da der Mord selbst. Henry Stratford hatte ihn sicher nicht begangen. Ein Gentleman wie er konnte seine Gläubiger monatelang hinhalten. Außerdem war er nicht der Typ, um einem Mann ein Messer in die Brust zu stoßen, dessen war sich Trent sicher.
    Aber er war auch nicht der Typ, der kreischend aus dem Haus seiner Cousine lief und behauptete, eine Mumie habe versucht, ihn zu erwürgen.
    Und dann war da noch etwas. Etwas überaus Beunruhigen-des. Die Art, wie Miss Stratford reagiert hatte, als sie von der verrückten Geschichte, die ihr Cousin erzählte, erfuhr. Sie hatte nicht betroffen reagiert, sondern kalt und ungehalten. Die Geschichte schien sie nicht im mindesten zu überraschen.
    Und dann war da dieser Fremde, der sich in ihrem Haus aufhielt, und die seltsame Art, wie Stratford ihn angesehen hatte.
    Die junge Frau hatte etwas verheimlicht, das war klar. Vielleicht war es das beste, wenn er selbst vorbeischaute und sich in dem Haus umsah und mit dem Wachmann sprach.
    Wie es aussah, würde er heute nacht sowieso keinen Schlaf mehr finden.

    Die frühen Morgenstunden. Ramses stand in der Diele von Julies palastähnlichem Haus und beobachtete, wie die kunstvoll gewirkten Zeiger der Großvateruhr weiterrückten. Als der große Zeiger schließlich die römische Ziffer zwölf teilte, der kleine Zeiger die römische Nummer vier, ertönte ein tiefes, wohlklingendes Schlagen.
    Römische Ziffern. Wo er hinsah, erblickte er sie: an Stra-
    ßenecken, auf Buchseiten, an Gebäudefassaden. Die Kunst, die Sprache und die Seele von Rom zogen sich durch diese ganze Kultur und verwurzelten sie fest in der Vergangenheit.
    Selbst die Idee der Gerechtigkeit, die Julie Stratford so nach-haltig beeinflußte, stammte nicht von den Barbaren, die diesem Land einst ihr grausames Gesetz der Blutrache aufgedrückt hatten, sondern von den Gerichten und Richtern Roms, die mit Vernunft regiert hatten.
    Die großen Banken erinnerten an römische Tempel. Große Marmorstatuen in römischer Kleidung standen auf öffentlichen Plätzen. Die seltsam unschönen Häuser in dieser Straße waren mit kleinen römischen Säulen und Säulengängen über den Türen verziert.
    Er drehte sich um, ging in die Bibliothek von Lawrence Stratford zurück und nahm erneut im gemütlichen Ledersessel Platz. Er hatte überall in dem Zimmer brennende Kerzen aufgestellt, denn er liebte das anheimelnde und gedämpfte Licht.
    Selbstverständlich würde das kleine Dienstmädchen morgen früh vor Schreck ohnmächtig werden, wenn sie überall das getropfte Wachs sah, aber das machte nichts. Sie würde es gewiß entfernen.
    Ihm gefiel dieses Zimmer von Lawrence Stratford – Lawrence Stratfords Bücher und sein Schreibtisch. Lawrence Stratfords Grammophon, das »Beethoven« spielte, ein Medley piepsiger kleiner Blasinstrumente, das sich irgendwie wie ein Katzen-chor anhörte.
    Wie seltsam, daß er soviel von dem, was diesem weißhaarigen Engländer gehört hatte, der die Tür zu seinem Grab aufgebrochen hatte,

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