Die Muschelsucher
den Ferien, mit dem Auto. da.« Sie nahm ein gerahmtes Foto von einem Regal und hielt es ihm hin. »Das sind wir, irgendwo unterwegs, als wir gerade Rast machen.«
Er sah eines der üblichen Familienbilder, fünf Personen, die in die Kamera blickten und sich bemühten, ein strahlendes Gesicht zu machen: Penelope hatte Zöpfe und trug ein Sommerkleid. Außerdem ihre Eltern und, wie er annahm, irgendeine Verwandte. Was seine Aufmerksamkeit jedoch fesselte, war das Auto, neben dem sie sich aufgebaut hatten.
»Das ist doch ein Viereinhalbliter-Bentley?« Er konnte nicht verhindern, daß seine Stimme bewundernd klang.
»Ja. Papa liebt ihn über alles. Genau wie Mr. Toad in den Leutchen um Meister Dachs. Wenn er damit fährt, nimmt er seinen schwarzen Hut ab und setzt eine Lederkappe auf, und er weigert sich, das Verdeck zu schließen, und wenn es regnet, werden wir alle klitschnaß.«
»Habt ihr ihn noch?«
»Ja, natürlich. Er würde sich nie davon trennen.« Sie stellte das Foto wieder aufs Regal, und sein Blick wurde wieder von Charles Rainiers faszinierenden Bildern angezogen. Er konnte sich nichts Schickeres vorstellen, als in den sorglosen Jahren vor dem Krieg mit einem Viereinhalbliter-Bentley nach Südfrankreich zu fahren, in eine Welt voll Sonnenschein, wo die Luft nach Kiefernharz duftete, wo man unter freiem Himmel speisen und im blauen Mittelmeer baden konnte. Er dachte an trunkene Abende in einer Weinlaube. An eine lange Siesta bei geschlossenen Fensterläden, damit es nicht ganz so heiß war, mit Liebe am Nachmittag und Küssen so süß wie Weintrauben. »Ambrose.«
Jäh aus seinem Tagtraum gerissen, wandte er sich ihr zu. Sie lächelte vollkommen unbefangen, zog ihre Uniformjacke aus und warf sie auf einen Sessel, und da er immer noch in seinen Phantasien gefangen war, malte er sich aus, wie er ihr auch den Rest ausziehen würde, um sie hier und jetzt, auf einem dieser breiten und einladenden Sofas, zu lieben.
Er trat einen Schritt auf sie zu, aber es war bereits zu spät, denn sie hatte sich umgedreht, war zu den Fenstertüren gegangen und kämpfte nun mit einem Riegel. Der Zauber war gebrochen. Kalte Luft strömte herein, und er seufzte und folgte ihr gehorsam in den kalten Londoner Tag hinaus, um sich den Garten zeigen zu lassen. »Du mußt kommen und dir alles ansehen... Er ist sehr groß, weil die Leute, die nebenan gewohnt haben, Papa vor Jahren ein Stück von ihrem Garten verkauft haben. Es tut mir leid für die Leute, die jetzt dort wohnen, sie haben nur einen deprimierenden kleinen Hinterhof behalten. Und die Mauer am Ende ist sehr alt, vermutlich aus der Tudorzeit. Ich glaube, er hat früher zu einer königlichen Obstwiese oder zu einem Lustgarten gehört.«
Es war in der Tat ein sehr großer Garten, mit Rasen und Rabatten und Blumenbeeten und einer altersschwachen Pergola. »Was ist das für ein Schuppen?« fragte er.
»Es ist kein Schuppen. Es ist das Londoner Atelier meines Vaters. Ich kann es dir aber nicht zeigen, weil ich keinen Schlüssel dafür habe. Es ist sowieso voll von Staffeleien, Leinwänden, Farben und Gartenmöbeln und Feldbetten. Er kann einfach nichts fortwerfen. Jedesmal, wenn wir nach London kommen, sagt er, er wolle das Atelier ausräumen, aber er tut es nie. Ich nehme an, es ist deshalb, weil all die Dinge seine Vergangenheit verkörpern. Oder aus Faulheit.« Sie fröstelte. »Kalt, nicht? Gehen wir zurück, und ich zeige dir den Rest.«
Er folgte ihr wortlos, und sein höflich interessierter Ausdruck verriet nichts davon, daß sein Verstand fieberhaft arbeitete und mit der Präzision einer Maschine Möglichkeiten und Chancen ausrechnete. Obgleich dieses alte Londoner Haus dringend renoviert werden mußte und recht unkonventionell aufgeteilt war, beeindruckte es ihn mit seiner Großzügigkeit und stilvollen Schönheit, und er kam zu dem Schluß, daß es der perfekt ausgestatteten Wohnung seiner Mutter mit Abstand vorzuziehen sei.
Außerdem war er damit beschäftigt, sich ein Mosaik aus den verschiedenen kleinen Informationen zusammenzusetzen, die ihm Penelope ganz nebenbei, als wären sie vollkommen unwichtig, gegeben hatte. Bemerkungen über ihre Familie und deren fabelhaft unkonventionellen bohèmehaften Lebensstil. Seiner war im Vergleich dazu alltäglich und furchtbar langweilig. Sein Leben ebenfalls. In London geboren und groß geworden, jedes Jahr in den Sommerferien nach Torquay oder Frinton gefahren, Internat und dann die Royal Navy. Die bis jetzt nichts
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