Die Muschelsucher
weiter gewesen war als eine Fortsetzung der Schule, mit ein bißchen Drill und Exerzieren gewürzt. Er war noch nicht mal auf See gewesen und würde erst dann fahren, wenn er alle Lehrgänge absolviert und alle Prüfungen bestanden hatte.
Aber Penelope war wirklich kosmopolitisch. Sie hatte in Paris gelebt, und ihre Familie besaß außer diesem Haus in London auch noch ein Haus in Cornwall. Er versuchte, sich dieses Haus vorzustellen. Er hatte kürzlich Daphne du Mauriers Roman Rebecca gelesen und stellte sich einen Besitz wie Manderley vor, vielleicht eine Villa im elisabethanischen Stil mit einer zwei Kilometer langen, von Hortensienbüschen gesäumten Zufahrt. Und ihr Vater war ein berühmter Maler, und ihre Mutter war Französin, und sie schien es ganz selbstverständlich zu finden, im Sommer mit einem Viereinhalbliter-Bentley nach Südfrankreich zu fahren und dort bei Freunden zu wohnen. Der Viereinhalbliter-Bentley erregte seinen Neid mehr als alles andere. Er hatte immer von solch einem Auto geträumt, denn es war ein Symbol für Wohlstand und Männlichkeit, nach dem sich die Leute auf der Straße umdrehen würden - und es hatte genau die richtige Portion Exzentrik, nicht zuviel und nicht zuwenig.
Während sich diese Gedanken in seinem Kopf drehten und er sich überlegte, wie er noch mehr herausfinden könne, betrat er hinter ihr wieder das Haus und folgte ihr durch das Souterrain zu einer schmalen dunklen Treppe. Sie gingen hinauf und standen in der geräumigen und eleganten Eingangsdiele, mit einem wunderschönen Fächerfenster über der Eingangstür und einer breiten Treppe mit niedrigen Stufen, die sich in einem schönen Bogen nach oben schwang. Er staunte über die unerwartete Pracht und blickte sich um.
»Ich fürchte, es ist ein bißchen heruntergekommen«, sagte sie, wie um sich zu entschuldigen. Ambrose fand es kein bißchen heruntergekommen. »Und wo dieser schreckliche helle Fleck auf der Tapete ist, haben Die Muschelsucher gehangen. Es ist Papas Lieblingsbild, und er wollte nicht, daß es bei einem Bombenangriff beschädigt würde, und deshalb haben Sophie und ich es in eine Kiste packen und nach Cornwall bringen lassen. Ich finde, das Haus ist ohne das Bild nicht mehr so wie früher.«
Ambrose ging zur Treppe, weil er es nicht abwarten konnte, mehr zu sehen, aber sie sagte: »Wir gehen besser nicht nach oben.« Dann öffnete sie eine Tür. »Das ist das Schlafzimmer meiner Eltern. Ich glaube, es war ursprünglich das Eßzimmer. Es geht zum Garten. Morgens ist es hier wunderschön, weil die Sonne voll hereinfallt. Und das hier, zur Straße, ist mein Zimmer. Und hier ist das Bad. Und hier ist die Besenkammer, wo meine Mutter den Staubsauger abstellt. Das ist alles.«
Die Besichtigung war beendet. Ambrose kehrte zum Fuß der Treppe zurück, blieb dort stehen und schaute nach oben. »Wer wohnt dort?«
»Eine Menge Leute. Die Hardcastles und die Cliffords und ganz oben, in den Mansardenzimmern, die Friedmanns.«
»Untermieter«, sagte Ambrose. Das Wort blieb ihm fast in der Kehle stecken, denn es war ein Wort, das seine Mutter immer nur im Ton größten Abscheus ausgesprochen hatte. »Ja, so nennt man es wohl. Es ist sehr schön. Es sind immer Freunde im Haus, man kann sie praktisch jederzeit sehen. Oh, das erinnert mich an etwas, ich muß nach oben und Elizabeth Clifford Bescheid sagen, daß wir hier sind. Ich hab versucht, sie anzurufen, aber es war besetzt, und ich hab vergessen, es noch mal zu probieren.«
»Wirst du ihr sagen, daß ich auch hier bin?«
»Natürlich. Möchtest du sie kennenlernen? Sie ist sehr nett.«
»Nein. Lieber nicht.«
»Warum gehst du dann nicht wieder in die Küche und stellst Wasser auf, damit wir eine Tasse Tee trinken können. Ich werde sehen, ob ich Elizabeth überreden kann, uns ein bißchen Kuchen oder Gebäck zu geben, und wenn wir Tee getrunken haben, gehen wir und kaufen Eier und Brot und was wir sonst noch brauchen. Sonst haben wir morgen nichts zum Frühstück.«
Ihre Stimme klang wie die eines aufgeregten kleinen Mädchens, das zum erstenmal für alles verantwortlich ist. »In Ordnung.«
»Ich bin gleich zurück.«
Sie lief mit ihren langen Beinen die Treppe hinauf, und Ambrose stand in der Diele und sah ihr nach. Er biß sich auf die Lippe. Er, der gewöhnlich so selbstsicher war, empfand eine sonderbare Befangenheit und hatte den nagenden Verdacht, daß er, indem er hierher, in Penelopes Elternhaus, gekommen war, irgendwie die Kontrolle über die
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