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Die Muschelsucher

Die Muschelsucher

Titel: Die Muschelsucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosamunde Pilcher
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Situation verloren hatte. Es beunruhigte ihn, weil er es noch nie erlebt hatte, und er ahnte dunkel, ihre außergewöhnliche Mischung aus Naivität und Weltklugheit könne die gleiche Wirkung auf ihn haben wie ein sehr starker trockener Martini und ihm seine Widerstandskraft und Energie rauben.
    Der große Herd in der Küche brannte nicht, aber es gab einen Elektrokessel, und er ließ ihn mit Wasser vollaufen und schaltete ihn an. Der winterliche Himmel hatte sich grau gefärbt, und der große halbdunkle Raum war kalt, aber im Kamin in der Wohnecke waren Fidibusse aus Zeitungspapier und Späne, er zündete sie mit seinem Feuerzeug an und sah zu, wie sie aufflammten, um dann einige Scheite und ein paar Kohlen aus einem Kupfereimer aufzulegen. Als Penelope im Laufschritt zurückkam, prasselte das Feuer, und das Wasser im Kessel summte.
    »Oh, das ist gut, du hast den Kamin angemacht. Dann ist es gleich viel gemütlicher. Es gab keinen Kuchen, aber ich hab mir etwas Brot und Margarine geliehen. Aber irgendwas fehlt noch.« Sie stand stirnrunzelnd da und überlegte, und dann fiel ihr ein, was es war. »Ja, die Uhr. Sie ist natürlich stehengeblieben. Wenn du sie bitte aufziehen würdest, Ambrose? Sie tickt so herrlich beruhigend.« Es war eine altmodische Wanduhr, die sehr hoch hing. Er schob einen Stuhl darunter und stieg hinauf, klappte den Glasdeckel auf, drehte die Zeiger auf die richtige Stunde und Minute und zog das Werk mit einem großen Messingschlüssel auf. Penelope öffnete derweil Schubladen und Schranktüren und holte Tassen, Messer, Teelöffel und eine Teekanne heraus.
    »War deine Freundin da?« Er horchte kurz, ob die Uhr tickte, und stieg dann vom Stuhl.
    »Nein, sie ist in der Stadt, aber ich bin nach oben gegangen und habe mit Lalla Friedmann gesprochen. Ich bin froh, daß ich es getan habe, denn ich habe mir ein bißchen Sorgen um sie gemacht. Weißt du, sie sind Flüchtlinge, Juden, ein junges Ehepaar aus München, und sie haben furchtbare Dinge durchgemacht. Als ich Willi zuletzt sah, dachte ich, er wäre kurz vor einem Nervenzusammenbruch.« Sie überlegte, ob sie Ambrose erzählen sollte, daß es Willi gewesen war, der sie zu ihrem Entschluß bewogen hatte, sich beim Frauen-Marinehilfskorps zu verpflichten, hielt es aber für besser, es nicht zu tun. Sie war nicht sicher, daß er es verstehen würde. »Sie hat gesagt, daß es ihm schon viel besser geht, er hat eine neue Stelle gefunden, und sie ist in anderen Umständen. Sie ist sehr nett. Sie unterrichtet Musik, sie muß sehr begabt sein. Macht es dir etwas aus, den Tee ohne Milch zu trinken?«
    Nach dem Tee gingen sie die King’s Road hoch, kauften in einem Lebensmittelgeschäft einige Sachen ein und kehrten dann in die Oakley Street zurück. Es war fast dunkel, so daß sie alle Verdunkelungsvorhänge zuzogen, und dann bezog sie die Betten, und er saß auf einem Stuhl und schaute zu.
    »Du kannst in meinem Zimmer schlafen, und ich schlafe im Bett meiner Eltern. Möchtest du baden, ehe du dich umziehst? Im Boiler ist immer genug heißes Wasser. Oder möchtest du vielleicht etwas trinken?«
    Ambrose bejahte beides, so daß sie wieder in die Küche hinuntergingen, wo Penelope eine Flasche Gordon’s, eine Flasche Dewar’s und eine Flasche ohne Etikett, deren Inhalt nach Mandeln roch, aus der Anrichte holte. »Wem gehört das alles?« fragte er. »Papa.«
    »Hat er nichts dagegen, daß ich davon trinke?« Sie starrte ihn überrascht an. »Aber dafür ist es doch da. Um Freunde zu bewirten.«
    Dies war wieder etwas Neues. Seine Mutter teilte den Sherry in winzigen Gläsern zu, und wenn er Gin wollte, mußte er selbst welchen kaufen. Er sagte jedoch nichts, sondern schenkte sich einen doppelten Scotch ein und ging, in einer Hand das Glas und in der anderen seine Reisetasche, wieder nach oben in das ihm zugewiesene Zimmer. Es war sonderbar, sich in dieser fremden, weiblichen Umgebung auszuziehen, und während er es tat, lief er hin und her wie eine Katze, die sich mit einem neuen Heim vertraut machen will, und betrachtete die Bilder, setzte sich probeweise auf das Bett, las die Titel der Bücher auf dem Regal. Er hatte Georgette Heyer und Ethel M. Dell erwartet, fand statt dessen aber Virginia Woolf und Rebecca West. Nicht nur Bohemienne, sondern auch eine Intellektuelle. Er kam sich auf einmal vor wie ein Lebemann. Er zog seinen Noel-Coward-Morgenmantel an, nahm ein Badetuch, seine Waschtasche und das Glas und trat auf die Diele. In dem kleinen

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