Die Muschelsucher
spielte auf einmal keine Rolle mehr. Er setzte sich neben sie und knöpfte langsam und behutsam die winzigen Knöpfe ihres Mieders auf. Sie versuchte nicht, ihn daran zu hindern, und als er sie von neuem küßte, auf den Mund, den Hals, die runden und milchweißen Brüste, reagierte sie mit einer uneingeschränkten süßen Hingabe.
»Du bist so schön.« Als er es gesagt hatte, wurde ihm zu seiner eigenen Überraschung bewußt, daß die Worte impulsiv gekommen waren, aus seinem Herzen. »Du bist auch schön«, sagte Penelope, legte ihre starken jungen Arme um seinen Hals und zog ihn nach unten. Ihr Mund war offen, bereit für ihn, und er wußte, daß alles an ihr auf ihn wartete.
Die ersterbenden Flammen wärmten sie und beleuchteten ihre Liebe. Tief in seinem Unbewußten regten sich Erinnerungen an ein nächtliches Kinderzimmer, zugezogene Vorhänge - lange Zeit vergessene Bilder der frühesten Kindheit. Doch es war nichts, das ihn beunruhigte, nichts, das ihn störte. Geborgenheit. Und ein Gefühl des Schwebens, eine selige Erregung. Irgendwo am Rande dieser Seligkeit aber auch eine leise Stimme der Vernunft.
»Liebling.«
»Ja.« Ein Flüstern. »Ja.«
»Ist es gut?«
»Gut? O ja. Sehr.«
»Ich liebe dich.«
»Oh.« Nicht mehr als ein Hauch. »Ambrose.«
Mitte April bekam Penelope zu ihrer Überraschung - denn sie war in solchen Dingen hoffnungslos unpraktisch - vom Hauptquartier des Hilfskorps die Mitteilung, daß ihr einwöchiger Urlaub fällig war. Sie meldete sich gehorsam zusammen mit einer Reihe anderer Mädchen im Büro der diensttuenden Unteroffizierin und wartete, und als sie an der Reihe war, bat sie um eine Rückfahrkarte nach Porthkerris.
»Das ist doch in Cornwall, nicht wahr, Stern?«
»Ja.«
»Leben Sie dort?«
»Ja.«
»Sie Glückliche.« Sie stellte die Rückfahrkarte aus, Penelope dankte ihr und verließ das Büro, ihren Fahrtausweis in die Freiheit fest umklammernd.
Die Eisenbahnfahrt nahm kein Ende. Portsmouth - Bath. Bath - Bristol. Bristol - Exeter. In Exeter mußte sie eine Stunde auf den Bummelzug nach Cornwall warten. Es machte ihr nichts aus. Sie stieg in den schmutzigen Waggon, fand einen Fensterplatz und starrte durch die schmierige Scheibe nach draußen. Dawlish, und zum erstenmal erhaschte sie einen Blick auf das Meer; es war nur der Kanal, aber das war besser als nichts. Plymouth und die Saltash- Brücke und unzählige Schiffe, anscheinend die halbe Royal Navy, im Sund vor Anker. Und dann Cornwall und die kleinen Bahnhöfe mit den feierlich und romantisch klingenden Namen. Hinter Redruth ließ sie das Fenster an dem Lederriemen herunter und beugte sich hinaus, denn sie wollte den ersten Zipfel des Atlantiks, die Dünen und die weiße Linie der Brandung auf keinen Fall verpassen. Dann rollte der Zug über den Hayle-Viadukt, und sie sah die Mündung, die jetzt, bei Hochwasser, viel breiter war als sonst. Sie hob ihren Koffer vom Gepäcknetz und ging durch den schmalen Gang zur Tür, als der Zug durch die letzte Kurve ratterte und dann im Bahnhof hielt.
Es war halb neun Uhr abends. Sie stieß die massive Tür auf und trat erleichtert, den schweren Koffer hinter sich her wuchtend, auf den Bahnsteig hinaus. Sie hatte die Uniformmütze rasch in die Jackentasche gesteckt. Die Luft war warm und mild und frisch, und die tief stehende Sonne warf lange Strahlen über die Steinplatten, und aus dem blendenden Schein traten Papa und Sophie und eilten ihr entgegen.
Es war unfaßlich schön, wieder zu Hause zu sein. Als erstes rannte sie nach oben, riß sich die Uniform vom Leib und zog normale Sachen an, einen alten Baumwollrock, ein Aertex-Hemd aus ihrer Schulzeit, eine gestopfte Strickjacke. Nichts hatte sich geändert; das Zimmer war genauso, wie sie es verlassen hatte, nur aufgeräumter und blitzsauber. Als sie mit bloßen Beinen wieder nach unten gelaufen war, ging sie nacheinander durch alle Zimmer, um ganz sicher zu sein, daß auch hier noch alles so war wie früher. Es war noch genauso. Bis auf ein paar Kleinigkeiten. Charles Rainiers Porträt von Sophie, das früher den Ehrenplatz über dem Kamin im Wohnzimmer eingenommen hatte, war an einem weniger auffälligen Platz gelandet, und nun hingen Die Muschelsucher, die nach einigen unvermeidlichen Verzögerungen endlich aus London eingetroffen waren, über dem Kamin. Das Bild war zu groß für das Zimmer, und das Licht wurde der Intensität seiner Farben nicht gerecht, aber es sah trotzdem wunderbar aus.
Und die Potters
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